Gedichte 1998-2000

 

 

 

 

Aufmüpfig

 

 

Spinnenbeinig hasten

Wolken vorüber,

ziehen Lichter und Schatten

hinter sich her, streben

hin zum letzten grossen

Stelldichein.

Und an den Bäumen bauscht

sich das aufmüpfige Grün

der letzten Sommertage.

Ein bewimpeltes Fest, ein Nest

voller Vögel, die Abschied feiern.

Doch der heutige Tag ist jung, sein Bart

so unecht wie mein Hut.

 

Den trage ich umsonst.

 

Die Arbeit kommt vom Tisch,

die Dinge sind erledigt,

die Lecks gestopft,

die Tücher entknotet,

die Hitzeflügel entstaubt,

die Verhäkelungen entwirrt.

Nun ist alles in Ordnung.

Der Pfeil am Wegrand,

in mürbe Rinde geritzt,

ist das Mindeste, was

ich erwarten darf.

Ein gutes Zeichen.

 

 

 

 

Konservierter Sommer

 

 

Am Strand die unruhvollen Wellen

ergeben ein kostbares Blau.

Sie haben Schluckauf. Und zerschellen

am Strumpfband einer Frau.

 

Ein weisser Dampfer in der Ferne

zählt schläfrig tutend auf drei.

Die Sonnenglocke brütet Wärme

wie das Huhn das Ei.

 

Mit wulstig aufgerollter Hose

tapst ein Hemdsärmliger voran.

Seine Arme schaukeln lose

und zucken dann und wann.

 

Den Körper trägt er mit Behagen

ins blauseidene Wasser hinein,

Ärmel, Bauchlatz und den Kragen,

gefleckt von altem Wein.

 

 

 

 

 

In Basel

 

 

In Basel führt jede Treppe in einen Estrich.

In Basel ist alles ungeheuerlich tot.

In Basel rieselt der Sandstein.

 

In Basel wird getrommelt auf Teufel komm raus.

In Basel sind die Totenzimmer mit Plüsch ausgeschlagen.

In Basel pfeift man auf den Papst.

 

In Basel ist die Liebe insgemein geheim.

In Basel trinkt man Rotwein bis zum Umfallen,

aber nie wird gesoffen.

In Basel dreht sich alles um die Fasnacht.

 

In Basel pflegt man die Melancholie.

In Basel ritzt der Witz.

In Basel heisst man Stähelin oder Burckhardt.

 

In Basel kauft man Hüte für jede Gelegenheit.

In Basel bekommt man die Syphilis.

In Basel verkleiden sich die Heldentenöre als Käfer.

 

In Basel fährt der Fährimaa zur Toteninsel.

In Basel schärft man Auge, Ohr und Zunge.

In Basel hat Faust sein Doktorat gemacht.

 

In Basel fällt man tot von der Parkbank.

In Basel praktiziert man Anatomie.

In Basel regnet es grau.

 

In Basel steht man meistens früh auf.

In Basel gibt es elftausend Jungfrauen.

In Basel gibt es mehr Mumien als in Ägypten.

 

In Basel trinkt man aus Kamelhaar-Tassen.

In Basel ist jeder Kaminsims ein Museum.

In Basel träumen die Maler von Frankreich.

 

In Basel sind Glockenzüge verpönt.

In Basel geht man auf Taubenfüssen.

In Basel bewacht ein Heiliger die Brücke.

 

 

 

 

 

 

Der lachende König

 

 

In die blaue Sprache der Vögel

übersetze ich den Fahrplan,

das Wochenendwetter,

das Winken der Signalkellen

und das ewige Gesetz, das

den Stein anstösst.

 

Denn ich bin der König.

 

Was ich will, ist unklar,

aber ich will es unbedingt.

 

Und der König dankt ab

mit einem Gelächter, das

die Krücken und Schlösser

zerschlägt.

 

Nicht unangenehm überrascht

nimmt man das weitherum

zur Kenntnis.

 

 

 

Kleines Mondlied

 

 

der Mond ist gekommen

die Nacht zu besonnen

gestohlenes Licht

 

die Dachziegelschräge

und alle die Wege

ich kenne sie nicht

 

ach um die Gedanken

des Wachseins sich ranket

welkendes Laub

 

die Eule im Fluge

verkauft wieder Schuhe

die Mäuse sind taub

 

nun bin ich verbündet

mit dem der sich ründet

dem tupfweissen Mond

 

und hör das Gewimmer

im Fliegendreck-Zimmer

drin niemand mehr wohnt

 

und werd ich nicht Zeuge

wie das Gestäude

zum Fenster sich hebt -

 

- aufwärts sich fingert

ins Fliegendreck-Zimmer

und Totes belebt?

 

 

 

 

 

Der Affe und ich

 

 

An mein Fenster kam ein Affe.

 

Ich liess ihn herein,

vielleicht aus Mitleid

mit der sprachlosen Kreatur.

Ich bin ja kein Unmensch.

 

Der Affe schaute mich an.

Sein Gesicht war fussmüd,

alt wie ein Wanderstock,

knotig und schwärzlich

vom vielen Gebrauch.

 

Die Begrüssung

war sehr unkompliziert.

Wir bohrten uns gegenseitig

in der Nase.

 

Bald schon bereute ich,

was ich getan, wollte

ihn loshaben. Verjagen.

Er war mir zu nah.

 

Fort mit dir, sch, sch.

Was hab ich mit dir zu sch-affen?

 

Meine Abweisung liess ihn kalt.

Sie entwaffnete ihn nicht.

 

Er rückte mir auf den Pelz,

den ich seiner Meinung nach

vermissen liess.

Er sprach von Hegel und Kant.

Er kannte meine Telefonnummer,

meinen Kontostand,

und nicht genug damit,

er hatte eine Maske, die

er sich aufsetzte, um Erfahrungen

als Mensch zu sammeln.

 

Diese Maske, na ja,

war mir wie aus dem Gesicht

geschnitten.

 

Hie und da ein Blick

über die Schulter, als ob

da ein Jäger käme,

ein Affenfänger.

 

Wir flüsterten nur noch,

verschworen uns gegen

den Rest der Welt.

 

Schliesslich wurden wir Freunde.

Aber das ist eine Bananität.

 

 

 

 

 

Sonntagsetüde

 

 

Aus vollem Teller ess' ich mich satt.

Nach dem Wein dann ein bisschen Tratsch

und zum Nachtisch ein weiches Gedicht.

Köpfe, rot wie Rettich, tummeln sich

im Garten. Schuhe scharren im Kies.

Für die Kinder gibt's Gries.

 

 

 

 

 

 

Nebenbei

 

 

Geistreich zu schweigen ist manchmal schwieriger als geistreich zu reden.

 

Die eitlen Bäume rücken sich ins Licht.

 

Die Sonne spielt in C-Dur.

 

Am Feuerwehrball brach plötzlich ein Feuer aus. Die Abendtoiletten standen in Flammen.

 

Eine Katze schläft in der Wäschetrommel.

 

Aufgehängte Wäsche flattert. Will sie uns etwas mitteilen?

 

Beim Lesen gerät man in Schwingung. Das Lesen zerstört das Lesen.

 

Gestern bin ich einem Geist begegnet. Aber nein, Geister gibt es doch gar nicht. Vermutlich ist es eine schwebende Parkuhr gewesen.

 

Sie trägt eine Magnolie im Haar, denkt sich Liebesstrategien aus. Sie ist sehr hübsch. Eines Tages erhält sie Besuch vom Prinzen persönlich. Seine Kutsche fährt vor, schnaubende Rösser. Doch sie stemmt sich wütend gegen die Tür. Man hat ihre Pläne vereitelt.

 

Wenn man in Zwillingsschwestern verliebt ist, ist die Richtige jeweils die andere.

 

Wenn man so dasitzt, reiht man sich unter die Steine ein. Man wird geologisch interessant.

 

Ich fühle etwas in mir. Aber vielleicht ist es nur das Wetter.

 

Ist, wer rückwärts flucht, schon ein Heiliger?

 

Einer springt an Heiligabend durchs Dorf und schreit: „Eilig, heilig! Eilig, heilig!“

 

Wozu hat man Augen im Kopf? fragte der Maulwurf.

 

Ich freue mich jeden Morgen, weil ich nicht ausschlafen muss.

 

 

 

 

 

 

 

Traumberufe

 

 

Der Jäger schiesst auf Spatzen,

bis sie platzen.

 

Der Bäcker walzt den Blätterteig

auf der Strassenkreuzung breit.

 

Der Lehrling von der Bücherei

hat alle Tage frei.

 

Der Pfarrer wirft die Bibel fort,

siebzehn Meter, Weltrekord!

 

Der Lehrer hält die Lektion

niemals ohne Megaphon.

 

Der Künstler stänkert, kifft und säuft,

wenn‘s mit der Kunst mal nicht so läuft.

 

Der Bettler gibt ein Festbankett,

er ist schon ziemlich fett.

 

In der Gummizelle sitzt der Architekt,

der dieselbe ausgeheckt.

 

Der Koch macht grüne Grütze,

drin brutzelt seine Mütze.

 

Der Pöstler geht von Haus zu Haus.

Er kennt sich aus.

 

Der Reporter macht ein Interview

mit der preisgekrönten Kuh.

 

Der Arzt setzt an sein Stethoskop,

Geschwüre sind sein täglich Brot.

 

Der Maestro oder Dirigent

mit Mozart um die Wette rennt.

 

Die Hure vögelt stundenlang

mit dem Josi, der‘s nicht kann.

 

Der Forscher bastelt eine Fliege.

Halb ist es eine Ziege.

 

Der Dichter schmiedet Reime,

den Wörtern macht er Beine.

 

 

 

 

Dich Dung

 

 

Dich Dung,

dich meine ich,

wenn ich mir die Nase zuhalte.

 

Von Fall zu Fall stinkst

du ganz entsetzlich

und aus vollen Rohren,

stinkst so furchentief

nach fürchterlichsten Fürzen,

so nach Darmwindmief,

dass man dich fortwünscht

nach Kackalukackien.

 

Man kann dich nicht riechen

und riecht dich doch.

Mir dir ist nicht Staat zu machen,

mit dir nicht,

aber Salat,

das schon.

 

Mir dir Dung,

mir dir wird gedüngt

auf Linien ums Eck im Quadrat,

mit und ohne Reim und

manchmal holpernd

auf Furchen und auf Wellen

von hier bis Wallisellen.

 

Damit wäre schon alles gesagt,

sprösse aus dir Dung, aus dir

im Sommer nicht das Getreide

und natürlich der Salat

und so manche Blume

und ohne Gestank.

 

 

 

 

Der Baum

 

Es ist ein Baum,

ein sehr krummer Baum.

Ein sehr grosser Baum.

Er hat mehr als tausend Äste.

An denen ist etwas dran, ja,

sehr viel Blattwerk....

Der guten Form halber

müssten sie ihn zurechtschneiden,

eine Stange an seinen Rücken binden,

die Baumpfleger mit eidgenössischem

Fachausweis. Die kennen sich damit aus!

So denken wohl die meisten.

Ich nicht, nein, ich bin fürs Ungerade,

lasse fünf gerade sein.

Der Baum ist wunderschön,

ob krumm oder nicht,

ob unförmig oder nicht,

kann man so stehen lassen.

Eine lebendige Skulptur.

Wind und Regen haben ihr

den letzten Schliff gegeben.

Nach kaum hundert Jahren

ist es vollbracht. Jede Korrektur

käme zu spät, und das ist gut.

Was schon krumm ist, kann

nur noch krummer werden.

Und das Grosse kann nichts

dafür, dass es einen grossen

Schatten wirft.

 

Der Baum hat seine Zeiten.

Im Winter hüllt er sich in Schweigen.

Im Frühling, Sommer und Herbst

murmelt er unentwegt

vor sich hin - vor sich hin.

In seiner eigenen Sprache.

Ich verstehe kein Wort.

Nur den Vogel verstehe ich,

der sich mit einem brennend

roten Kehlchen brüstet.

 

Durch das Blättergehusche

kommt immer ein bisschen Licht durch.

Und was höre ich da?

Ein geschütteltes Gelächter!

 

 

 

 

 

Das Megatherium

 

 

Fünf Uhr abends

im Naturhistorischen Museum.

 

Die letzten Besucher sind fort,

und der Wärter, schwer

und schmerbäuchig, dreht

die letzte Runde, rasselt

mit dem Schlüsselbund.

Endlich Feierabend.

 

Dem Riesenfaultier

sagt er noch gute Nacht,

denn Nacht soll es werden

über Gottes Geschöpfen.

 

Nacht wird's im Saal,

wo diese Geschöpfe

sich zur Glasdecke strecken,

als gähnten sie.

 

Dem Riesenfaultier,

auch Megatherium genannt,

pinselt das Mondlicht eine

künstliche Haut.

 

Man hat es ausgegraben,

nicht totgejagt.

Es war schon ausgestorben,

als man es fand.

 

Seine Klauen sind stumpf,

töten konnte es nicht,

aber fressen, vor allem Gras,

und sich vorwärtswühlen

wie ein Bagger.

 

In der Evolution war es

eher mittelmässig,

Trittbrettfahrer, salopp gesagt.

Keine besondere Leistung.

 

Wie ein stimmloser Chorist, der

nur deshalb im Chor mitmacht,

weil er dort ein gutes Versteck hat.

 

Im Wald, hinter Urzeitbäumen,

hat es sich sein Nest gebaut,

klamm und heimlich,

und Gras gefressen. Sehr viel Gras.

 

Als Riesengerippe überdauert

es nun sein Fleisch.

Auf seinem Podest steht es

zwecks Körperdemonstration

auf den Hinterbeinen.

Es muss sich anstrengen,

fünf Tage die Woche

Belehrung spenden,

Staunen erwecken,

für all diejenigen dasein,

die es sich lebendig wünschen.

 

Die Wiederauferstehung

bleibt ihm gottlob erspart.

Es würde sich schämen.

 

 

 

 

 

Hasenlied

 

 

Ich summe mir ein Hasenlied

beim Gehen über Land.

Der Tag ist lang und doch ein Sieb,

denn nichts hat lang Bestand.

 

Es taget im gezausten Wald,

die Eulen schlafen ein,

ein Specht sich an sein Bäumchen krallt

und klopft. Ich sag: Herein!

 

Die Sonne schluckt die Sorgenlast

und jeden kalten Stern,

und wenn ich sage Mittagsrast,

so sag ich's liebend gern.

 

Auch stehen soll man ab und zu

und gehen ungehemmt,

denn schöner noch als Rast und Ruh

sind Beine, die es brennt.

 

Die Mühle rattert traulich fort,

es klippt und klappt das Rad

und mir das Knie und hier das Wort,

so geht's von früh bis spat.

 

Gehege, Felder, Weg und Steg

und tannengrüne Nacht

beschützen den, der vorwärtsgeht

und manchmal Sprünge macht.

 

Ich habe mir kein Ziel gesteckt,

der Weg hat nur sich selbst,

das Glück gottlob ist nicht weit weg,

und wenn's nicht steigt, so fällt's.

 

Beweglich springt der Wiesenbach

durch Blumen mir voraus,

es hält mich nicht, ich lauf ihm nach

und schnaufe mächtig aus.

 

Ich summe mir ein Hasenlied

beim Gehen über Land,

und was daraus sich noch ergibt,

ist keinem hier bekannt...

 

 

 

 

Wintergarten

 

 

Wintergarten, ein Würfel aus Glas,

betuliche Blumen und Stühle.

Auf den Lippen wächst mir Gras,

das begrünt mir die Gefühle.

 

Das Wetter ist leicht indisponiert,

doch hier drinnen, was soll's.

An Natur bin ich nicht interessiert,

mir genügt ein Tischchen aus Holz.

 

Wintergarten, ein Würfel aus Nichts,

Pavillon und Raumschiff in einem.

Im Rechaudkerzen-Licht

radschlagen die stolzesten Pfauen.

 

Ich spreche mit einer bärtigen Dame

und nippe an Meissener Porzellan.

Schon schmilzt das Häubchen Sahne

hinweg wie Eis im Ozean.

 

 

 

 

 

 

 

 

Für K. (ein Liebesgedicht)

 

Sie schielte durch die Brille noch

Vorbei am Singular

Und stopfte sich das Kragenloch

Mit ihrem falschen Haar.

 

Mit allen Kräften suchten wir

In pollenvollen Wiesen,

In Blumen und in Heugewirr

Ein Kitzeln und ein Niesen.

 

 

 

 

Mein Eifelturm

 

 

Du bist mein Eifelturm,

gehäkelt aus Präziosen,

aus stählernen Fäden,

die so gut vernietet sind,

dass ein leises Sichbiegen,

eine zärtliche Neigung

gerade noch drinliegt.

 

Du bist mein Eifelturm.

Dein rankes, schlankes

Schwanken, an Wolken

vertäut und biegsam

bis in die Zehenspitzen,

und die Grätsche zweier

Füsse in Taubenandacht.

 

Auf nach Paris!

Zum Klinglang der Boulevards!

Wo der Tauber die Taube

beturtelt, bis sie ihm glaubt,

und das Glühen einer

Leselampen und ein

verschwiegenes Buch

Schätze sind, die man

im Tresor bewahrt.

Wo man den Gendarmen,

damit sie einen laufen lassen,

Gedichte aufsagen muss

von Verlaine.

 

Du aber, ma Belle, wohnst am Rhein,

sehr ruhig und prosaisch.

Deine Zigaretten,

zerkäut wie deine Finger,

ersetzen dir die Sterne

des nächtlichen Paris.

Vielleicht bist du zu schlicht,

und deine Schlichtheit tritt zurück

vor der Allmacht der Buchstaben,

die du eilig in dich aufnimmst,

in der Pause zwischen zehn und elf.

Maulwurfsemsig, ganz von unten her,

betreibe ich deine Heiligsprechung,

pflastere sie mit Beweisen.

 

 

 

Klage

 

 

Mein Mund ist trocken,

meine Zunge eine Schuhlasche.

Die Wörter sind mir

ausgefallen wie faule Zähne.

Abgenutzt und stumpf, was

Gesang hätte sein sollen.

Was will ich noch?

Wider Gott und Weh

hab ich gesungen

mit vielem Beschwer:

liegt darin ein Sinn

zum Weitersagen?

 

Ein Herz allein muss traurig sein,

hat zum Tanzen nur ein Bein.

Ein Herz so klein,

kann die Welt nicht fassen.

 

Mein Anger steht brach,

wonach?

Die Hoffnung, ach.

 

 

 

 

 

Kirschkerne

 

 

Unter den Schuhen spritzt es auf.

Keine Pfütze zu flach,

als dass sie's nicht könnte.

Jeder Garten ein Katzenurinal,

und dort, im Rinnstein,

ein zermantschtes Papier,

die Buchstaben herausgewaschen,

aber noch sichtbar in Fäden

zerfliessender Tränenschminke:

die Juli-Ausgabe.

 

Zwecklos die geballte Faust.

Gott ist beschäftigt. Er melkt die Wolken,

gibt ihnen Kosenamen: Ursel oder Pipa.

Sein Filzmantel riecht nach Hund.

Nach Sauerkraut. Vergesslicher Gott.

Er hat uns Kirschkerne gemacht,

aber keine Kirschen.

 

 

 

Die Weltkarte

 

 

Der flirrend grüne Tag,

durch den ich gewandert war,

hatte seinen Schwung verbraucht.

Blieb stehen wie ein Rad.

Der Abend kam, und nichts

Bekanntes weit und breit.

Endlich ein Dorf,

zwei, drei Häuser,

und ein Gehöft

mit Mist vor den Ställen

und Zwiebelketten

an wuchtigen Balken.

Dächer wie Ziegenbärte,

und hinter scharnierlosen Türen

Hühnergegacker und

Miauen von Katzen,

die im Dämmer schon

grau wurden.

 

Ins Abseits geraten.

Jede Orientierung dahin. Ich sah's ein.

Und durchwühlte den Rucksack, faltete

die Handorgelkarte hoffnungsvoll

auseinander. O Schreck!

Die ganze Welt auf

einer Karte, mit allem drauf,

und doch so nutzlos.

So nutzlos!

 

 

 

 

 

Gewitter

 

 

Amsel im Baum,

Sonne sticht.

Mittag trödelt

in Staub und Licht.

 

Amsel hüpft

zum Weizenfeld.

Ein Wölklein hat

sich eingestellt.

 

Amsel hüpft

zum Wegerich.

Die nahende Wolke

begreift sie nicht.

 

Amsel pfeift

den Himmel aus,

schon tröpfelt's zag

auf Feld und Haus.

 

Amsel pfeift.

Wolke zerbricht.

Mittag zeigt

sein wahres Gesicht.

 

Amsel, wo?

Regen drischt

mit Donner und Blitz,

bis alles, alles

ausgewischt.

 

 

 

 

Das Papierschiff

 

 

Es gibt immer neue Arten,

Sehnsucht zu spielen.

Zum Beispiel falte ich ein Papierschiff

und lasse es zu Wasser.

Die Taufe vollziehe ich

mit einem Tröpfchen Spucke.

Ein getauftes Kind

darf man ins Leben entlassen.

Ich hoffe, es hält sich, dieses Kind,

und fängt beim Auslaufen

etwas Wind ein,

eine Prise oder zwei.

Ich habe es selber gemacht,

aus Altpapier, Seemannsgarn

und der Liebe eines Bastlers,

der seinen Keller bewohnt.

Was dazu bestimmt ist,

ins Licht zu segeln,

entsteht im Dunkeln

und kriecht dann aus

seiner Verlarvung.

Es kann warten,

bis seine Zeit kommt.

Ich habe Knöpfe angeleimt,

das sind die Bullaugen,

und ein kleines Segel gesetzt,

ein Sonnensegel.

 

 

 

 

Erstbegehung

 

 

Als Astronaut Armstrong

seinen klobigen Fuss

auf den Mond setzte

und seine Stimme

durch das drahtlose Knacken

unendlicher Räume

hindurchwaberte und

bekanntgab, dies

sei ein kleiner Schritt

und so weiter,

da jubelte die ganze Welt.

Doch warum?

Als ich vorgestern,

etwas abseits vom Weg,

eine sperrige Wurzel knickte,

sprach alles dafür, dass ich

der erste Mensch war, der

diesen Ort betrat.

 

 

 

 

 

Der Harmlose

 

 

In seinen Almosentopf tröpfelt

das Lächeln der Leute,

die nichts dabei finden,

ihm zuzuhören.

Ein nachsichtiges Lächeln,

das ist die Quittung,

kein Schimpfen, kein Kritteln.

Er spricht sich ungestraft aus,

geht durch Gehörgänge,

ohne irgendwo anzustossen.

Niemand entzieht ihm das Wort,

dem Hausierer ohne Ware.

Was er anzubieten hat,

sind Worte der geläufigen Art.

Man hält ihn für harmlos, für apart.

Daher steht es ihm frei, die Dinge

beim Namen zu nennen.

Man hört ihm zu.

 

 

 

 

 

Mittag im Juli

 

 

Flamme des Mittags

geistert im Korn, ein

blinkendes Messer.

Schau dich nicht um!

Die getuschten Schatten

vibrieren.

 

 

 

 

Das Machbare

 

 

Die da vom Förderband gehen,

bewegen sich in aufrechten

Kolonnen auf die Stadt zu.

Unsere Büros haben wir geräumt,

denn sie lösen uns ab.

Mancherorts sitzen sie schon

auf unsern Stühlen, schreiben,

rechnen, planen, kaufen.

Wo unsere Geschäftigkeit aufhört,

die Leistungskurve einbricht,

weil wir uns ausklinken, weil wir

Hunger oder Durst haben oder

einfach nur schlechte Laune,

springen sie ein und arbeiten

an der Vervollkommnung von Details.

Sie machen das Machbare.

 

 

 

 

Die Witwe

 

 

Durch den Boden einer Vase

aus schummerigem altem Glas

späht sie hinauf zu den Wolken,

zu den bauschigen Häusern

im weltallweiten Blau.

 

Doch wozu?

 

Sie holt sich einen Kreis heran.

Drin wacklig vergrössert

ein Mann.

 

Typischerweise trägt er seinen

Pullover verkehrtherum. Und

sein Gesicht ist stumm.

 

Am Abend

stellt sie ihm den Teller hin, die Tasse.

Sie schöpft ihm reichlich Suppe.

Verschränkt die Hände im Schoss.

Und lächelt.

 

Weil es in der Vase wieder blüht.

 

 

 

 

Morgenpastorale

 

 

In einer Ritze des Himmels

hat die Sonne ihre Hand.

Sie büschelt die Wolken.

Sie pflückt den Tau und

schüttet ihn wie Speichel

aufs ländliche Land.

Viel Milch gibt die Kuh,

wenn sie geduscht.

Indes die Frühe,

ein Melkengel vielleicht,

den Laufpass bekommt

und mit wehendem Kittel

davoneilt.

 

 

 

 

Ratschläge

 

 

Die Fehler der Frauen

sind immerhin hübsch

und deshalb verzeihlich.

Nimm sie nicht tragisch, die Frauen,

sie sind es nicht. Tun höchstens so.

Ist aber nicht viel dabei.

Benutze den Strang, den

eine so fingerfein geknüpft,

um dich zu halten in Eselshaft,

als Lasso

und wirf ihn aus

nach dem nächstbesten Lächeln.

 

Die oder jene oder welche auch immer;

schlimmer wird es nimmer.

 

Misstraue seinem Sang, du Schöne,

er ist ein Dichter. Er zückt die Zunge

und sticht sie dir ins Herz.

Willst du ein Schmetterling sein,

von Dichterworten gespiesst?

Nein, du Schöne, nie und nein.

Er belügt dich ja nur.

Morgen ist er über alle Berge

und singt andere Töne.

 

 

 

 

Hans Luginsland

 

 

Obwohl ihm der letzte

vorwärtseilende Schritt

noch im Wadenbein zittert,

ist er keiner Bewegung mehr fähig.

Himmelhagelstill,

seit Jahr und Tag erstarrt,

Hans Luginsland am Wegesrand.

Seine Augen,

der Hutkrempe entfliehend,

sind eins mit Vogelflug, mit

spielenden Weiten.

Auf seinem Hut plustert sich eine Taube.

Und jährlich einmal kommt eine Hummel,

seine Nase zu putzen.

Warum er nicht weitergeht?

Einer Kleinigkeit wegen.

Bestimmt nicht unseretwegen.

Wir gehn an ihm vorüber

ins Dorthinaus, ins Weite.

 

An seinem Schatten, der sich dreht,

sehn wir,

wo die Sonne steht.

 

 

 

 

Unschuldsmine

 

 

Ihr hinter das Gesicht zu kommen,

ist ein Vorhaben, das uns gleichsam

ein wenig einwickelt, einwindelt:

was zum Teufel finden wir daran?

 

Ihr Gesicht mag schön sein und klug,

doch hat sie's spöttisch vermimt,

um das Böse fernzuhalten,

es womöglich auszuschalten.

Nur so kann sie ihm verwehren,

sich ihr zu nähern. Ist das gut?

 

Wenn dann

(oh dann!)

der schwarze Mann

an ihre veilchenblaue Türe klopft,

wird sie ihm auftun und flüstern:

"Mein Lieber, schau doch mal

in den Spiegel. Beileibe nicht alles,

was zwei Backen hat, ist ein Gesicht."

 

 

 

 

 

 

Tagasyl

 

 

In mir gärt es,

ein winziges Versprechen.

April April

In mir verkettet sich,

was nicht zusammengehört,

sodass ich es um den Hals

tragen muss.

April April

Ich stopfe meine Pfeife mit Blattspinat.

Ich bin ein Landpirat.

April April

Der Wald hallt wider von meinen

Vergnügungen, meinen Klopfzeichen.

Ich entäste mein Rätsel.

April April

Meine Wege und Ziele sind die der Engel,

der Zikaden.

April April

Ich betrüge mich mit fast jeder Frau,

die mir treu ist.

April April

Ich stelle Ordnung her, sonst gibt's kein Essen

und die Teller bleiben leer.

April April

Ich bin mit Sankt Antonius verwandt. An den

Zähnen klebt mir Wüstensand.

April April

Es verflüssigt sich die Zeit. Mensch sei bereit.

April April

Der Tod hat eine Sense, eine Schrumpfhand.

April April

Der Wurm springt aus dem Apfelgehäuse,

schreit dreimal Kuckuck und wird vom

Vogel gefressen.

 

O mein trostloses Tagasyl, von winzigen Hündchen umbellt.

 

 

 

 

 

Lostage

 

 

Ich hauche den Spiegel an.

Ich fische im Trüben.

Ich miste mich aus.

Ich baue ein Haus.

Vorhang zu.

Wo sind die Fäustlinge,

die Ofenscheiter?

Es wird kälter.

Die blauglühende Lampe

verwandelt den Vorhang

in eine Vorahnung von Schnee.

Zeit für den Tee,

ich schlürfe diese Wärme

und gähne.

 

 

 

 

Das hat Zeit

 

 

Nicht das Leben verwetten.

Denk vor allem

an die Sorgfaltspflicht!

Retten, was zu retten ist.

Die Stunde achten und

den Zuwachs an Fingernägeln.

Es ist da, das dreissigste Jahr,

nur eine Haarspalte,

die sich aber stetig vergrössert.

Was einst Wind war,

ist nun Gegenwind.

Was einst Haare gelassen,

weitet sich zur Glatze.

So ist es mit dem Älterwerden.

Memento mori?

Nein, nirgends steht

geschrieben, dass du

den Löffel abgeben und

in die Wiege dich legen

musst. Noch liegt dort

nur deine Vergangenheit.

 

 

 

 

 

Arabisches Zahlenspiel

 

 

Beim Zahlenspiel zog

ich zu viel ab.

Ich hatte mich verrechnet,

das Rechenbrett hielt

mir meine Dummheit vor.

Infolgedessen umarmte

ich die Null,

das nette Nichts,

den arabischen Engel,

Retter in der Not,

der, wenn die Enge

beklemmend wird,

sein gefiedertes L

anfügt.

 

 

 

 

 

Seewen

 

 

Seewen

musst du gesehen haben:

die Häuser handbemalt,

die Dächer wie gedrechselt,

und in den Gärten brennen die Nesseln.

Aus Vogelkot machen die Bauern

eine Tugend.

Am Weiher kann man winters

das Eis studieren und den

festgefrorenen Reiher.

Oft war ich dort.

Auf einem abseitigen Weglein

umarmte mich ein Hund.

Er leckte mich gesund,

und die Bauersfrau flösste

mir Suppe ein. Zwiebelsuppe.

Ich hatte eine Verkühlung.

Aber mein Gewissen war rein.

Das muss ich festhalten.

Ich kann dir Seewen

wirklich nur empfehlen,

wenn du kein Mörder bist.

 

 

 

 

 

 

Dornacher Schloss

 

 

Bei einem Picknick auf der Wiese

haben sie gemordet und geschlachtet

wie die Wilden. Blut floss zu Tal.

So ging das damals. Doch die Zeit

heilt Wunden, macht sie wieder zu,

und am Schlosshang rupfen

die Kühe den sonnengeröteten

Klee. Es ist unschuldig, das Vieh.

Die Ritter sind fort,

sind mausetot.

Und unten lärmt die Industrie.

 

 

 

 

 

Allschwiler Wald

 

 

Schlaflos geht dort

einer Schritt für Schritt.

Die Flöte quer zum Mund,

zu dieser Stund‘, was

soll das denn?

Eine Schöngeisterei,

die eines Harlekins

vom Mond?

Der Kopf hängt ihm schief

über dem Piccolo, und

die Triller zerklirren wie

Untertassen aus Klang.

Da senkt sich hernieder

eine Wärme, die keine ist,

sondern nur die Hoffnung

der Schrebergärten auf

weniger Schnee.

 

Vom Druck der Gräser

springt die Frosthaut

entzwei, die brüchige

Erde. Aller guten Dinge

sind drei, sind Frühling.

Dazu ein Hundegebell,

durch fahle Äste

gefädelt, und ein Rascheln,

vielleicht Trommelgewirbel,

vielleicht ein Fuchs, der

die Schönschriftfeder bringt.

 

 

 

 

Landskron

 

 

Auf dem Turm knattert

die Fahne auf Französisch.

Ein Accent aigu, der mit dem

Wind spielt, den Wolken

über dem Elsass.

Auf den Dächern und Zinnen

turnen ein paar Affen herum,

die Backen voll Erdnüsse.

Es grüssen die Wasserspeier

von Notre Dame, es blinkt die Seine.

Ein Schritt, und man wäre drüben.

Hätte eine andere Luft.

 

 

 

 

Rot und Grün

 

 

Deine Haare sind in Flammen

Doch dein Zimmer friert

Darum also hast du's

Mit Sommer tapeziert

 

Was lockt zu dir den Vogel

Aus dem Zauberhut

Welch sonderbare Wandlung

Von Mut zu Übermut

 

Brot in deinen Händen

Spieglein an der Wand

Stetig rinnt und rieselt

Der feine feine Sand

 

Du und ich auf Erden

O ungereimte Zwei

Aus ihr wächst Blätterfülle

Grünes Einerlei

 

So stell ich denn die Leiter

An den hohen Baum

Der so wirr gepunktet

Mit Sommersprossen braun

 

Und steige in die Höhe

Zu dir hinauf ins Grün

Ach wenn das doch gelänge

Ganz ohne Traumkalkül

 

Und steh mit beiden Beinen

Im Himmel wo es zieht

Und koste deine Früchte

Wie ein Apfeldieb

 

Die Liebe lässt die Diebe

In den Garten ein

Doch Diebe wollen stehlen

Nicht gestohlen sein

 

***

 

Wirklich schwer zu sagen

Wer hier wen begehrt

Die Spange deine Haare

Oder umgekehrt

 

Nun lass dein Haar herunter

Rapunzel mach es los

Dein Turm hat keine Stiege

Nur Balken Zinnen Moos