Landkartierung
Ein Dorf, hoch droben, unbegreiflich weiss.
Als Schutzglocke will es hervorgehoben sein,
als zwölfmaliges Geläut im heutigen Umlauf.
Neubauquader, Strassen, auch gut begehbares Terrain
für Vereinsbummelanten und Freizeitinfanterie.
Mit Rasenmähern bewaffnet wächst die Einwohnerschaft
in die verfügbare Wohnfläche hinein. Es wird gebaut.
Noch ist Platz für Heimlichkeit, fürs unbemerkte
Schlendern um Ecken herum auch tagsüber.
Im Konsumverein, hinter schmal gestellten Lamellen,
Suppenkonserven, Teigwaren, Konfitüren....
Plakate beschriften die Tür. Aufschwingend gibt sie sich
als Kühlraumtür und Klingelauslöserin zu erkennen.
Ist man drinnen, ist man bald wieder draussen,
und meistens hat man etwas zum Kauen gekauft.
Auf den Genuss denaturierter Süssigkeiten
steht Schleifen und Bohren im Backenraum.
Gerade noch sichtbar die dunstigen Berge am Rand
der Rundumsicht, verlässlicher Zirkelpunkt Dorfpost.
Listig schlängelt sich ein Weg durchs Fallobst,
ein andrer kriecht wie Günsel unter Wolken dahin.
Die Bröckelhänge gesichert mit Pflöcken und Stangen,
der Wald, voll Trockenholz, mangels Regen zerklüftet.
Ins Blaue schiesst der Hochwildpatentjäger seinen
dritten Fehlschuss. Leise zwitschert es im Wald.
Schlitternd auf Pfaden bergab, auf krustiger Lehmspur
findet der Läufer, geleithundgeleitet, aufs neue zum Start.
Ännet der hochansteigenden Kante des Grünlings
liegt Zimbel, windgeschützt und kaum zu sehen.
Ein hohlräumiges Bächlein schlüpft unter die Sagi und
fällt ins Schroffe, in die Schaumschluft, und entwindet sich.
Von dort herauf rankt sich tour-de-suisse-mässig die Strasse
in Richtung Dorf und weiter nach dem Aeppliger Hofgut.
Briefkästen mit Gaunerzinken bekritzelt, die Zimbeler Zytig
kommt zeitig am Tag und zweimal gefaltet wie ein Z.
Hinter Sichtschutz, wohlgeborgen, alles sitzplatztauglich
gepflegt. Wer hindurchschaut, wächst durch die Hecken.
Stille schlägt den Glockenton und lässt ihn stehn.
Übertönt ihn nach und nach mit Pappelgeraschel.
Beim Jäten ist man gern für sich, auch beim Schnipseln
hinter den Tomatenstauden. Zwackt gebückt die Triebe ab.
Aufgeführt die roh geklinkerte Mauer zwischen Schultrakt
und Scheune. Zu roh? Es fehlt noch der hingeklatschte Putz.
Wer Sparrücklagen hat, kauft sich am Steilhang ein Haus
und lässt es bewachen vom Frühwarnsystem Erdbebenhund.
Im auslaufenden Schmorfieber Ende August schickt
der Öpfeltag wieder seine Marschmusik aufs Spielfeld.
Unverbrüchlich hält das Dorf an seinen Bräuchen fest,
am festesten aber am Öpfelfest, den Jungen zugedacht.
Jungbürgerweihe mit Beteiligung fast aller Vereine
und des ganzen wohlaufgestellten Gemeinderats.
Schwurbereit beissen die Stimmrechtsaspiranten
in unreife Äpfel. Die Grimassen werden eingegipst.
Und werden zu Masken, die man sorglich abzieht
und sammelt als Trophäen des Mündigwerdens.
Eingelagert auf Dachbodenhöhe, setzen sie Staub an,
zerbröseln fingerzart, obwohl niemand sie anfasst.
Ach, die vielen unsortierten Erinnerungen an Schluckauf,
eiliges Umsteigen auf Klassenausfahrten im Gebirge.
Auch Photos lagern hier, und in den Regalfächern
Spülküchenseifen und gut verstöpselter Weingeist.
Einst war da am gangbaren Übergang eine Zollstation.
Die angekettete Lupe entziffert Einkerbungen im Zollstock.
Das Nachbarsdorf heisst Sunächtig. Südwärts schauend,
nimmt es den Sonnenlauf für bare Münze. Es glänzt.
Auch von ferne betrachtet und in Dunst gehüllt,
sind die Lichtfangflächen nicht zu übersehen.
Mit der Photovoltaik hat sich Sunächtig an den Kosmos
angeschlossen. Schöpft Energie aus dem Liebgott-Kessel.
Viele Weiden sind aufgeforstet und renaturiert, andere
wiederum durch Geometerarbeit sauber neuparzelliert.
Auf den Spazierwegen kommt man überallhin, sogar
nach Australien. Was eigentlich zuviel des Guten ist.
Streuobstwiesen und verzettelte Äcker fordern zum
Querfeldeingehen auf. Fahrverbote sorgen für Ruhe.
An Nutzwald herrscht kein Mangel. Das Holz
wird geerntet wie eine etwas zu lang geratene Frucht.
Zerteilt und handmarkiert auf Plätzen tief im Wald
wird es der Witterung ausgesetzt. Und dem Kleingetier.
200 Ster Brennholz und 3000 Stück Wellen sind zu
verzeichnen dieses Jahr. Dieselbe Menge wächst nach.
Wenn das Klima sich hält, nicht allzu sehr ausschlägt
in den Gezeiten seiner fehlgedeuteten Launen.
Nicht wieder absackt in eine Zwischeneiszeit
mit Kaltluftfronten und Frösten, die den Wein einfrieren.
Obwohl der Schnee dort am frühsten wegschmilzt,
ist vom Wyngarten nur noch der Name übrig.
Mehrmals im Jahr und vor allem im Frühling feiert
Sunächtig die Nähe zur Sonnennabe, begreift sich als Rad.
Pünktlich zur Maienblust zieht es Jung und Alt in den Wald.
In wohlgesetzten Abständen pülvert einer in die Luft.
Auf dem Festplatz unter freiem Himmel lässt sich Frühling
in Szene setzen als Kreistanz und Dionysusgeböller.
Wenn irgend angängig, lässt man die Waden nackt
und vermeidet das Tragen von Sonnenhüten.
Mit grünbelaubten Buchengerten schlägt man sich
gegenseitig die Waden, treibt die Durchblutung an.
Kellerbräune ist in Sunächtig verpönt. Im Freien frischt
man sich farblich auf, holt sich den Landarbeiterton.
Die vielen Vereine bieten eine sinnvolle Alternative zum
Fernsehen. Doch unterliegen sie nur halb der Freiwilligkeit.
Das im vorletzten Jahr gegründete Pompierkorps ist
nach wie vor angewiesen auf den Zulauf von Alltagshelden.
Wer nicht Dienst tut, bezahlt Ersatz oder macht
Gebrauch von der landesüblichen Kompensationspraxis.
Leitet die Beratungen der Schulaufsichtsbehörde
im Beizensäli: zu löschen gibt es auch dort etwas.
Helm, Rock, Ganzkörpergurt und Hosen kann man im
Regenwetter-Lotto gewinnen. Der Lagerist verteilt.
Das launische Elektropümpeli stellt im Brandfall
ein lösbares Problem dar. Geübt wird mit der Stoppuhr.
Im sonnenverlassenen Finstertal gerät das alte
Zufahrtssträssli unaufhaltsam in Vergessenheit.
Wegen der Geröllhänge selten passierbar. Der Belag
hat gelitten, ist kaum je ausgebessert worden.
Im Tal nebenan schlängelt sich die neue Fahrstrasse
von Reuggen nach Sunächtig hinauf. Im Winter gesalzen.
Der Kahlenfluh entlang geht sie weiter zum Rötel.
Mit der Fluhrodung wurden die Baukosten berappt.
Links vom Rötel liegt Chindstanz. Es geht die Sage,
in der Dorfkappelle spuke das Fräulein Von Hagendorn.
Die Schulhausfassade, adrett gelaubsägelt, liebäugelt
mit Heimatstil. Im Dachreiter spitzt sich Glockengeläut.
Mit einem Schüsselsprung sprang das Glöggli ins Millenium.
Seither läutet es geflickt und etwas kläglich im Ton.
Der gewesene Mitbürger Hartbrots Jöggi hat aus Amerika
das Geld geschickt für ein Zweitglöggli aus Gold.
Seither läutet das Ritterli doppelt, macht was von sich her
zu Ehren von Mohler-Hartbrot, der entwichen nach Übersee.
Der aber nie zurückgekommen, weil sein Dorf mitsamt
Heimatgefühl originalgetreu in Wisconsin als Kopie steht.
Hinter dem nördlichen Neubau-Quartier versickert
das Chindliwasser eingeschachtet im Gipsgrund.
Neben Klönis Gärtnerschuppen rostet Geschirr
im wuchernden Gejätt. Die Läden sind geschlossen.
Von dort geht’s sanft und oben dann himmeljäh hinauf
mit Wanderterrassen und unverkauften Chalets.
Der Berg bewacht das Dorf und drückt es zu Boden
mit seinen Kumulus-Balustraden, den Wolkenbalkonen.
Zu Boden gedrückt auch Kindelfingen, zweizeiliges
Strassendorf an Doppelspur und ohne Trottoir.
Zwischen Landerholungsheim und Solbad haut jedes
Auto die Luft, ein Stoss im Vorüber, vibrierend laut.
Ein Gewühl von Äckern, Wiesen und Holzschlägen lässt
das Fussgängerelend vergessen: da geht es sich leicht.
Für die Wiesenwässerung ist der Bach eine Nuance zu tief
und viel zu kümmerlich. Dennoch sind die Böden bäumig.
Bachaufwärts, in der Mitte eine Brücke, Schipf-Falzbach,
das Doppeldorf mit geteilter Sorge um Abfallentsorgung.
Gemeinsam zuständig auch für Kirche, Feuer, Jagd
und die mit Beamern ausgestattete Kreisrealschule.
Das Altenpflegeheim stellt sich sozial, quartalsweise
umkränzt es mit einem Kaffeekränzli die Dorfbrigade.
Eine Kleintierzucht versorgt mit Frischfleisch die Metzgi,
geht ein in die Spezialpastete namens Dübliburger.
Gesundheitsförderliche Patent-Matratzen produziert
die Kleinfabrik Hägli in Serie, eine Wiege des Tiefschlafs.
Fünf Gipsermeister, aufs ganze Doppeldorf verteilt, gipsen
und fluchen wie die Helden hemdsärmlig aneinander vorbei.
Und ein einsamer Teigmännli-Kneter kämpft idealistisch
gegen das Fliessbandkaufen im örtlichen Konsumverein.
Trotz allen Rekursen hat das Schlössli seinen Geist
aufgegeben und im Abbruch das Zeitliche gesegnet.
Dort steht jetzt die Bankfiliale sauber gescheitelt
und adelt das Geld für den Sparkässelischlitz.
Erhalten blieb das Lehenhaus, heute ein Kinderheim.
Heranwachsend bleiben die Kinder nicht, was sie sind.
Aus der Schrebergartenkolonie am Südrand von Schipf
steigt zuweilen ein geringeltes Duftstab-Räuchlein auf.
Dem dorfbekannten Dichterpfarrer und Armenanstaltsdirektor
hat man auf dem Bühl ein bescheidenes Denkmal errichtet.
Vom Frauenkulturverein gestiftet als Erinnerungshilfe.
Damit man diesen verdienstvollen Herrn da nicht vergisst.
Gegenüber die unverbesserliche Ruine mit Steinschlag,
zur Freude der Krähen fürs Fussvolk gesperrt.
Nördlich die Felspartie von Lupfingen. Lindwurmlöcher
zwischen uralten Baumkronen, kein Blitz schlägt dort ein.
Die Felsen hängen über und schirmen ab,
was immer sich dort einnistet im luftigen Exil.
Im Übergang zur Höhe ringt man nach Atem. Doch oben
die Ruhe, die Aussicht mit Weltscheibenglanz.
Ein Geländer schützt vor Absturz, während es Tiefblicke
gewährt, die nur der Weitblick vor Schwindel bewahrt.
Es könnte ein Zeppelin sein, das längliche Gebilde,
ist aber nur eine Wolke, windlos am Himmel vertäut.
Nach oben hin schluchtähnliche Wasserrinnen
durchfurchen das westliche Hügel- und Muldengebiet.
Im Süden ein Abzählvers aus Flühen, Gupfen und Graten,
das fähnchengespickte Profil weckt Landschaftsgefühl.
Verschwommen die Ausläufer im Osten. Kaum zu sehen
das Kantonsverwaltungsstädtchen Dergolzberg.
In Mur ein Polterplatz mit Stämmen, den Abtransport
besorgen geländegängige Langholzwagen.
Bei der Festhütte, wo der Tellerskilift endet, sausen
die Schatten rollkragenhalsiger Abfahrtsspezialisten zu Tal.
Gleichgültig stellen die Neubaubezirke ihre Landnahme
zur Schau. In den planierten Gärten leuchten Vogelbäder.
Papierdünne Lamellenzäune zum Selberaufstellen.
An den Samtrasenrändern spriessen Winkelmass und Lineal.
In der Mitte von Mur ein Kasten: die stillgelegte Zementfabrik.
Dient aus Verlegenheit noch der Gelegenheitsnutzung.
In der Kantine hält der Gemeindestubenverein zweimal
jährlich seinen Frühstückshock mit Ländlermusik ab.
Gut hörbar das Getöse aus dem Chälterental,
das Klatschen und Schleifen von Flüssigkristall.
Wuchtig schiessen die Wassermassen durchs Nadelör
und betreiben die Girard-Turbinen des Kleinkraftwerks.
Am Talausgang von Mur entfaltet sich ein Gewinkel aus
Kalkstein, von Verwitterunsrückständen rot imprägniert.
Die dortigen Felsspitzen nennt man Hörnli. Allenthalben
Hochweiden, auf denen pfadimässig gepicknickt wird.
Dann der Chienberger See, in einem felsigen Waldtal
und von nachtblauer Färbung. Ein Steg führt hinein.
Zum Baden lockt das Eiswasser nicht. Ist die Seegfrörni
amtlich attestiert, geht das Schlittschuhlaufen los.
Schon oft hat man mit Stangen und Seilen die Tiefe
gemessen, auch Echolote kamen zum Einsatz.
Für Verliebte und Mückenfischer steht ein Boot bereit.
Im Bedarfsfall darf es schonend benutzt werden.
Wälzt man einen Steinbrocken, auch Gwäggi genannt,
vom Bootsrand, so entsteht eine kürbisgrosse Blähung.
Wahrscheinlich dauert es Stunden, bis so ein Hochhauslift
auf dem lichtlosen Steingrund ankommt und aufsetzt.
Erlaubt ist das nicht. Das Steineversenken entfesselt
Luftaufruhr und prasselnd niederwehenden Hagelschlag.
Weiter nördlich liegt die grosse Sommerspielwiese
mit dem beliebten Chienberger Bratwurstbrätelplatz.
Wenig verlässliche Wege zweigen von hier ab.
Unwetterrinnen verschwinden im Jungwuchs.
Um einen guten Weg zu finden, geht man querfeldein,
peilt den unsichtbaren Baugebietsperimeter an.
Gut begehbar führt Asphalt mit Flicken und Flecken
beim Wolfhägli hinüber zur alten Baumschule.
Was folgt, heisst Grossholz und sieht auch so aus.
Eine Aula der Ordentlichkeit, vielreihig gestuhlt.
Trockenperioden und Borkenkäferinvasionen
haben dem Musterwald wenig anhaben können.
Fast handzahm und bald schon fernsehberühmt
sind die hiesigen Rehrudel dank Wildjägerhege.
Von Tarnnetzen umwickelt holt der Filmer die Tiere
nah zu sich heran. Schnuppernd beäugen sie die Linse.
Auf der Munimatt ist die Erde unterhöhlt, ein Grenzkorps
hat sich kriegslistig eingemauert, die Stellung zu halten.
Das war vor langer Zeit, als das Wünschen noch geholfen,
als es noch Grenzen gab und eigenen Sinn.
Inzwischen hat die Gemeinde die Anlage übernommen
und mit Zivilschutzgerümpel vollgestellt, auch mit Sperrholz.
Der halbbatzig versteckte Eingang, ganz aus Eisen,
doppelt verriegelt und mit neonbunten Farben besprüht.
In Kybig, einem Dreihundert-Seelen-Krachen, ist auf
Parabolantennen und Direktübertragung Verlass.
Die Mobilfunkantenne ist mit einer Weltraumschüssel
kombiniert, die die entferntesten Signale empfängt.
So findet das weltweite Geschehen seinen Widerhall
in der flimmernden Stube der Frieda Tschämperli.
Sie jubelt beim Torschuss und buht den Gegner aus,
ohne das Strickzeug aus den Händen zu legen.
Frühmorgens am Banntag findet im Gemeindewerkhof
der Appell und die Auszahlung des Bürgerbatzens statt.
Der Gemeindewerkhof ist so neu wie die Turnhalle
mit dem provisorischen Kletteraffengerüst.
Nach altem Handwerkerbrauch gibt’s am Aufrichtefest
Harzhopfenbier und Sägemehlkuchen für alle.
Weiter talaufwärts gebärdet sich die Landschaft
wie ein Krückenkrüppeli am Sankt-Veitstag.
Durch einen Schlund voller Felszacken
windet sich ein Bikerpfad hinauf nach Flürlich.
Gepriesen sei das Dorf für seine braunschaligen
Freilandeier und die fladenförmigen Holzofenbrote.
Die Gegend ist fruchtbar und gut bestellt, im grünen
Bereich liegt das Bemühen um Biozertifikation.
Was dem Dorf zur Unehre gereicht, steht auf
einem andern Blatt, einem Fahndungsblatt.
Noch immer unaufgeklärt der Päcklidiebstahl
im Postbüro. Das Stempelkissen blieb unberührt.
Den Brand der Riedacker Scheune schreibt man
Zünslibuben zu. Dort baut man jetzt Kohlrabi an.
Und der Kassierer des Vogelschutzvereins hat sich
mit der Vereinskasse auf die Balearen abgesetzt.
Bleibt zu sagen: der hat das Richtige getan, hat
sich klüglich davongemacht, wenn auch als falscher Vogel.
Die richtigen Vögel hat er dagelassen, damit sie Flürlich
weiterhin mit unentgeltlichen Gesängen erfreuen.
Einst im sommerlich heissen Kalksteinbruch
wollte ein Arbeiter seine Bierflasche vergraben.
Um sie kühlzustellen. Hob ein tiefes Loch aus
und stiess dabei auf ein Urmenschenskelett.
Homo Raurachiensis: stattlich, aufrechter Gang.
Doch die Delle im Schädel verrät Unschönes.
Auf den Feldern südlich des Köpflis findet man
Fischschuppen und schraubenförmige Schnecken.
Die Steingeister und Wasserwesen im Erdreich
bereichern Herrn Sägessers Erdkundeunterricht.
An den dickwüchsigen Holzbirnbäumen baumelt
ein einziges Früchtchen. Schutzwürdige Wenigkeit.
Zur Staubbekämpfung schickt das Wegwartungsamt
einen hochmodernen Strassensprengwagen aus.
Der bindet Staub mit feinstverteilter Nässe, kriecht
wie eine Riesenschnecke der Sonne entgegen.
Politisch herrscht Stillstand, reisst sich niemand
in Stücke, weil im Plenum etwas nicht durchkommt.
In der Gemeindeversammlungen neu traktandiert
und wieder verschoben: die Witzwegsanierung.
Im Privaten tut sich viel. Zum Beispiel bei Dopplers.
Das Ränkli haben sie wieder zum Laufen gebracht.
Neben der Restauration betreiben sie eine Pension
für abgehalfterte Reitpferde. Die träumen im Stehschlaf.
Auf den bunten Paradepferdchen des Kinderkarussells
üben Reitanfänger den geordneten Wild-West-Ritt.
Der polysportive Gemeinschaftswettkampf mit Eierwurf
und Tauziehturnier findet jeweils im Sommer statt.
Zwecks Kulturbereicherung führt die Liebhaberbühne
am selbigen Anlass ein zügiges Theaterstückli auf.
Geld und Geist haben beide ein G. Der Sparverein
hilft Erwachsenen und Kindern beim Kässelisturz.
Seit der Gründung haben die Einzahler zwei Millionen
Franken gespart. Macht vierzig Millionen Fünfräppler.
Geld, Geist, Geduld und noble Selbstbescheidung.
Die Flürlicher Mühlen mahlen langsam und lang.
Altbewährt und immer noch gebräuchlich das Einkaufen
mit dem Kommissionschörbli im dorfeigenen Konsum.
Kreispostdirektor Gnägi hat hinter seinem Chalet
einen Obelisken aufgestellt: als Höhenmesser.
Die oberste Kerbe markiert den sechshundertsten
Meter über Meer, den Übergang zur Alpenluft.
Auf ausgedehnten Hängen geht’s hinüber nach
Balzel, zum verzettelten Dorf im Tannenwaldbezirk.
Die weit auseinanderliegenden Häuser gewähren
Freilauf. Aus Süden weht ein beständiges Lüftchen.
Holzspalten und Teppichklopfen sind zu jeder Zeit
erlaubt, bringen niemanden um die Ruhe.
Barfusswege und gymnastische Übungsplätze
laden zu schweisstreibenden Aktivitäten ein.
Sehr zu empfehlen: Schwizernoldis Elsbeths
private Handtäschli- und Pochettlisammlung.
Kann nach Voranmeldung gratis besichtigt werden.
Schwizernoldis Elsbeth führt Führungen durch.
In hobbymässiger Heimarbeit hat sie die Stücke selber
bestickt, das Kuratieren betreibt sie ehrenamtlich.
In der Mehrzweckhalle veranstalten die örtlichen Vereine
die beliebten Dorfabende mit Kaffifertig und Most.
Der Zusammenhalt ist gross. Wird Einkehr gehalten,
sind die Vereine vaterländisch vereint unter einem Dach.
Nur der Holzmusikverein “Wieseblüemli” fährt seit jeher
ein Extrazügli: zum Beispiel auch am Bündelitag.
Gezogen von einem Einachstraktor oder Rasenmäher
rumpelt das ganze Musikspiel die Dorfstrasse hoch.
Gibt sein hölziges Festtagsrepertoir zum Besten.
Ergänzt Guetzlistand, Glücksrad und Lösliverkauf.
Störend freilich gibt eine Einlage Örgelimann Fritschi,
gibt eine Druckluft-Version des Radetzky-Marsches.
Montags im Frühtau plagt sich die Seniorenturngruppe
mit Hantelstemmen und Synchron-Rumpfbeugen ab.
Fräulein Alma Hedwig Krähenbühl leitet die Übungen
nach Comtessenart. Rührt keinen müden Finger.
Aus der Kiesgrube knallen Schüsse. Auf Empfang
eingestellt das Ohr, das Lärmbelästigung ortet.
Im Juniorenverband des Luftgewehrklubs engagieren
sich namentlich die Streber und Herrensöhnchen.
Die bringen es noch weit. Linkshändig und ohne Trara
qualifizieren sich sich für die Schweizermeisterschaften.
Keine Selbstverständlichkeit. Auch in Balzel greift
die Zerstreuung um sich, die Schlaffheit der Jugend.
Die Töfflibuben von Balzel zeigen sich gerne in
Bikerjacken und verwaschenen Bluejeans.
Und die Mädchen tragen Kunstfaserröcke, frech
reichen die Beine bis zum Boden hinab.
Das Wort “Sex” hat man erfunden, damit man
schamlos Druckerschwärze sparen kann.
Klopft die Fahnendelegation im Vereinsstübli
einen Jass, verlustiert sich die Jugend im Keller.
Malträtiert den Flipperautomaten, der auf Tritte
mit dem Geheul einer Polizeisirene antwortet.
Alles halb so wild. In Balzel wird fürs Jungvolk
alles Erdenkliche getan. Vielleicht auch zuviel.
Im katholischen Pfarreizentrum wummert das
Jugenddancing manchmal bis tief in die Nacht.
Wenig tut man für die Umwelt, die längst nicht
mehr so unberührt grünt. Zugemüllt grünt sie schwach.
In die Sumpfdottern kippt der Täter sein Zeugs
und will als Zeuge nichts gesehen haben.
Möbel, im Dorfbach versenkt, gehen samt
Schubladen dem Flohmarkthändler ins Netz.
Bei Schlagräumungen im Wald kommen
hie und da sogar Kühlschränke zum Vorschein.
Im Verein mit handelsüblichem Kunstdünger
dezimieren Blumenpflücker das Blütensortiment.
Eine Wüste aus Marieliegras und Disteln
umgibt die Grossapparate-Schlosserei.
Wo’s früher vielfarbig und üppig geblüht hat,
steht heute karges Bauland zum Verkauf.
Auf dem Grünstreifen eines ausgefahrenen Feldwegs
verläuft die gefühlte Grenze zu Düttlishausen.
Die Abstellstelle für die Gemeindemaschinen
ist ein rostiger Fuhrpark unter Blachen.
Hier warten Motormäher und Streumaschinen
auf ihren Einsatz am Sankt Nimmerleinstag.
Das Dorf, ein schmaler Wurf, duckt sich im
Windschatten des ausladenden Gallenbergs
Drei Ortsplätze und knapp fünfzig Häuser.
Ja, knapp, weil eines reif ist für den Abbruch.
Der Bergrücken kahlgeschlagen und krumm,
junges Gewächs schmiegt sich an Maschendraht.
Weiter südlich, wo der Wald wieder einsetzt, arbeitet
ein Ventilator unter der Haube des Frischluft-Schachts.
Leitet Luft in den Tunnel, diesen grossartigen Bau,
der unsichtbar bleibt, weil unter der Erde versteckt.
Gut sichtbar freilich überragen Kalksteinwände die
weich und weit ausschwingende Obstbaummulde.
Im Bad Schauenburg schüttelt die Frau Holle
aus Sri Lanka an jedem Fenster eine Daunendecke.
Der Gast ist König und lässt es sich wohl sein
im Gras- und Apfelduft, der von draussen hereinzieht.
Vorbei an Meiers Durlipspflanzplätz gelangt man
auf frostbeschädigter Strasse nach Säfels.
Dort leuchtet und blinkt ein Aluminiumgehäuse:
die Lärmschutzhalle der Metallbaufirma Möckli AG.
Auf dem Firmenareal hat man den grasgrünen Rasen
mit der Einhand-Motorensense auf Fingerkürze gebracht.
In Säfels tun sich Baulücken auf, geben die Sicht
frei auf langgeschwungene Waldbänder und Weiden.
Unweit der stillgelegten Sesselibahn Högerlimatt
steigt eine frisch gesplittete Strasse den Berg hinan.
Und erreicht in bequemer Biegung den Böwald,
der so heisst, weil darin der Bölimann wohnt.
Nicht weit davon verlaufen die Zugbahnen
von greulich berstenden Schauern und Gewittern.
Ganz plötzlich kommen sie über das Dorf und schütten
sich aus: Säcke voller Hochsommerplagen.
Zum Schutz vor unangekündigtem Wetter hat man
im Böwald die sichersten Unterstände gezimmert.
Und auf der Gemeindekanzlei kann der wagemutige
Wanderer eine wasserabweisende Harzdecke mieten.
Dank der reichlichen Regengüsse sind Näfels
Grundwasserkammern so voll wie Wassermelonen.
Längst schon gehören die Stahlgusswasserleitungen
durch ein High-Speed-Leitungssystem ersetzt.
Dank der Quellsanierung kann aus Säfels Röhren
wenigstens wieder bedenkenlos getrunken werden.
Was die Konsumation des handelsüblichen
Gütterliwassers so gut wie überflüssig macht.
Für die Sanierung verantwortlich zeichnet
Hahnenwasserbruder und Brunnmeister Stöckli.
Inzwischen pensioniert, macht er weiterhin seine
Wünschelrutengänge und liest die Wasserzähler ab.
Am westlichen Dorfrand erheben sich wulstige
Aufschiebungen und bewaldete Steinstufen.
Regelmässig treffen sich hier die Sportholzfäller
von nah und fern zum beidhändigen Axtschwung.
Geschlagen gibt sich nur das Holz. Verbissen kämpft
ein jeder um den Jahrespokal. Die Jury schaut zu.
Sobald der Sieger gekürt, hagen die Revierförster
das Gelände ein, um es neu zu beholzen und begrünen.
An Wald fehlt es nicht. Bewaffnet mit Tupperware kraxeln
die Erdbeerpflücker in die sommerlich summenden Hänge.
Auf Betreiben der Betagtenhilfe wurden die Wege gewalzt
und von Steinen und Fussangel-Wurzeln befreit.
Solid befestigt und mit Geländern und Rollstuhlrampen
ausgestattet sind die Wege durchwegs altersheimgängig.
An der östlich vorspringenden Kante des Sältis bewacht
ein Tannenwald das dunkel gebeizte Schwarze Häuschen.
Rauchwürste sowie ein breites Angebot an Suppen sind
im beliebten Ausflugsrestaurant ein tägliches Thema.
Drei Schuttablagen am Berghang gegenüber trüben
die Aussicht, verschandflecken die Landschaft.
Der “Verein zur Erhaltung intakter Naturräume” konspiriert
im Schwarzen Häuschen jeweils am Sonntagabend.
Einsprachen und Proteste halten die Verschandelung
nicht auf, steigern aber den Restaurationsumsatz.
Unaufhaltsam bergaufwärts wandert das Erdreich,
das beim Aushub für das neue Einkaufscenter anfällt.
Auf dem Kinderspielplatz beim Eitalbach steht
eine begehbare Metallskulptur als Dorfattraktion.
Ein ausrangierter Kampfpanzer des Typs Centurio 62.
Knallig bemalt und mit einer Rutschbahn kombiniert.
Seit Jahren durchläuft er das mehrinstanzliche
Genehmigungsverfahren der Ortsbildschutzkommission.
In einer terrassierten Geländenische weiter talobsi
tauchen die ersten Häuser von Iglingen auf.
Die nebelfreie Lage verhindert die üblichen Nässeübel
wie Holzfäule, Kellerschwamm und Apfelhurtenmoder.
Belüftung, Entfeuchtung und klare Sicht verdanken sich
dem beständig schmeichelnden Schönwetterwind.
Nur abends bilden sich am Bach entlang gelegentlich
ein paar Kaltluftseen, witterungsfeuchte Laken.
Auf der spärlich dolierten Dorfstrasse hält sich
der Durchgangsverkehr auch tagsüber in Grenzen.
Das Dorf liegt abseits in einer Gegend, in der
das Schnaufen der Kühe kilometerweit zu hören ist.
Kurzzeitig, wie es hiess, solle das alte Schnapslager
als Asylunterkunft dienen. Das war vor zehn Jahren.
Inzwischen ist das ganze Dorf ein Negerdorf, und
die Mischlingskinder spielen Räuber und Poli.
Meint jedenfalls der Hofmattbauer. Sein Gehöft
hat er mit einer Selbstschussanlage ausgerüstet.
Bezüglich Sauberkeit, Respektierung von Eigentum
und Arbeitshaltung sind ihm gewisse Leute suspekt.
Südlich von Iglingen brüllt in einem Tobel, von aussen
kaum hörbar, der unverwüstlich schäumende Bergbach.
Rechterhand öffnet sich ein Wiesenplateau, auf drei Seiten
abgerissen und scharf gekantet. Abstürze kommen vor.
Am Felsrand hält die Burgruine Urfenstein ihren
Dornröschenschlaf. Überm Halsgraben liegt ein Holzbrett.
Bei Ausgrabungen soll der Archäologe Köbi Jegerlehner
dem Geköpften begegnet sein. Das Phantombild blieb leer.
Mit regen- und blitzgeschützten Wettertannenplätzen
steigt links über dem Tobel das Gelände leicht an.
Lettlöcher, Kuhtränken und Äcker voller Hornsteinknollen
umgeben das Häusergedränge von Rümlinstall.
Um die hohen Belange des gemütlichen Zusammenseins
kümmert man sich im Landgasthof Brückli aus Tradition.
Ringelschwänziges aus der Hausküche lockt die
Waldkartierungskommission regelmässig ins Säli.
Folgt man westwärts dem Verlauf der Gasverbundsleitung
kommt man in die zerschründeten Hänge des Rämis.
Geologen reden von Erdschlipfen und Sackungen und
deuten damit die Fussgängergefährdung an.
Agrarische Eingriffe sind da und dort unumgänglich,
und die Nutzungsrechte wechseln häufig die Hand.
Steinbrüche legen das Berginnere frei, Aufschüttungen
formen Terrassen, Planierungen zerschneiden den Wald.
Für die heimlichen Partys von Privatfestinitianten
sind die stillgelegten Ausbeutungsstellen freilich ideal.
Bei voll aufgedrehtem Sound kann dem gewünschten Treiben
freien Lauf gelassen werden. DJ Böhni ist immer dabei.
An natürlichem Lärmschutz fehlt es nicht. Die Bäume stehen
Schmiere, falls dann doch einmal die Polizei kommt.
Hinter dem Berggrat beruhigt sich das Gelände und läuft
in Wiesen hinein, die gekämmt sind vom Westwind.
Auf dem weisse Muschelkalksporn lässt die Gemeinde
ihre Fahne flattern. Ein verblasstes Fetzchen Stolz.
In Durlingen hat früher der Masthahn gekräht. Fein
säuberlich besetzt das Dorf die üppigste Gegend.
Hinter dem Vogelgrichtshölzlein schaut es stattlich
hervor, alleingelassen, aber immer noch stolz.
Das Wäldchen gehört zum Dorf, hat Lauben, Dächer
und Strassen. Emsig linieren Ameisen den Boden.
Am Übergang zu den Weiden und Äckern im Osten
liegt das postkartenschöne Forsthofgut Durlingen.
Dem Restaurations- und Waldwirtschaftsbetrieb
angegliedert ist das sogenannte Quintianum.
Eine ländliche Laientheaterbühne, die im schmucken
Kömodienhäuschen für ideale Unterhaltung sorgt.
Spezielle Schallöffnungen leiten den Applaus nach
aussen ab. Man gibt sich bescheiden.
Die Kulisse hat der Flachmaler Manser gemalt,
Wiesen und Wälder - und irgendwo ein Dorf.
Hoch droben, unbegreiflich weiss.
2014