Wächler

 

Wächlers Anfänge sind mir noch gut in Erinnerung. Während er hin und wieder, mehr aus Lust am Eigensinn als aus einer wirklichen Notwendigkeit heraus, Gedanken zu Papier brachte, die so wirr wie unkonkret waren und selten auf einen Punkt hinführten, drückten ihn die Sorgen seines Studentenlebens. Er sprach viel über sein Bedürfnis, die Welt konkret zu erfahren. Er wolle hinausgehen und alles genau anschauen, teilte er mir mit, aus eigener Anschauung Dinge beschreiben, das sei sein Wunsch. Er versuchte mir klarzumachen, dass das Studium für ihn nur ein Umweg sei. Nicht der Weg sei das Ziel, sondern das Ziel sei das Ziel, sagte Wächler. Wie nicht anders zu erwarten, kam er mit den Anforderungen der Hochschule in Konflikt. Eines Tages verliess er seine Studentenbude, ging ohne Gepäck davon. Die naturkundlichen Bücher, die getrockneten Würmer, die aufgespiessten Käfer und all das andere wissenschaftliche Zeug, das sich bei ihm angesammelt hatte, entsorgte er, um eine saubere und leergeräumte Wohnung zu hinterlassen, und natürlich auch aus dem Bedürfnis heraus, alle unnötigen Habseligkeiten loszuwerden. Er wollte sozusagen mit leeren Händen, mit einer prinzipiellen Unbeschwertheit in sein neues Leben eintreten. Als Reiseziel schwebte Wächler nicht etwa eine Insel im Pazifik vor, sondern die Gegend, die er kannte wie seine Hosentasche. Er wolle nach Challwälch, sagte er, in das lehmige Hinterland, er sei dort aufgewachsen, zur Schule gegangen, er sei dort, als er noch ein Knirps gewesen sei, mit einem Dreirad über die Hügel geradelt, immer hinauf und hinunter. Ja, das sei lange her, inzwischen habe er die ganze Vielheit des Lebens kennengelernt, er sei viel herumgekommen, herumgereist in den entferntesten Weltgegenden, in den lebensunfreundlichsten Klimazonen habe er sich Wind und Wetter ausgesetzt und sich und seine Gedanken an Dinge verloren, die ihm eigentlich völlig egal sein könnten. Was treibe man sich an Orten herum, wo man gar nicht hingehöre? fragte mich Wächler. Was glaube man sich auf Reisen Grossartiges aneignen zu können? fragte mich Wächler. Er, Wächler, habe die ganze Welt bereist, und er sei zu dem Schluss gekommen, dass ihm die Welt gestohlen bleiben könne. Sie sei Billigware, Dutzendware, für jeden Idioten erschwinglich, für den Anschein des Herumkommens lasse man sich auf die blödsinnigste Weise ans Gängelband nehmen, zwänge sich in Flugzeuge und Taxis, trotte von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten, bilde sich ein, etwas Fremdes zu entdecken, wo man doch nur in einem x-beliebigen Reiseführer zu blättern brauche, um sich von diesem Wahn befreien zu können. Es gebe nichts auf der Welt, was nicht schon hundertfach beschrieben und inventarisiert sei. Irgendein Affengott-Tempel im hintersten Winkel von Himbukistan sei keineswegs fremdartiger als das Gartenhäuschen von Frau Müller. Jede seiner Reisen sei ein Fehlversuch gewesen, ein blödsinniges Streben nach einem Truggebilde, einem gar nicht existierenden Horizont. Damit müsse nun endlich Schluss sein. Er habe sich rein aus dem Bauch heraus für etwas anderes entschieden. Er habe sich umentschieden. Da es neuerdings seine Absicht sei, sich mit den seltsamen, sich ewig wiederholenden Erscheinungen des ländlichen Lebens zu beschäftigen, reise er unverzüglich nach Challwälch zurück. In den Ort, wo er zuerst ein Kind gewesen, dann zum Jugendlichen und schliesslich zum bärtigen Mann herangereift sei. Nun gelte es, dorthin zurückzukehren, an den Ursprungsort sozusagen, und die abgebrochenen Brücken wieder aufzubauen. Er, der bärtige Mann, kehre also an den Ort zurück, wo er sich vor undenklichen Zeiten das Barthaar habe stehenlassen, um fortan mit einem Vollbart durchs Leben zu gehen. An diesem Ort wolle er Quartier beziehen und eine Forschungsstation einrichten. Er werde Hügel und Wälder durchwandern, an den stotzigsten Hängen auf- und abwandern, bis er die Landschaft vollumfänglich inventarisiert habe. Aber bis dahin, so Wächler, sei es noch weit, er habe noch viel Beinarbeit und eine gewaltige Strecke vor sich. Es sei ihm ein Anliegen, diese Strecke in Abschnitte zu unterteilen, in Teilstrecken, die er gut bewältigen könne. Ab und zu werde er stehenbleiben und mit einem Stock in einen Ameisenhaufen hineinstechen, Blätter abzupfen und den Himmel studieren. Der Schwerpunkt dieser Reise liege im Bereich der Forschung. Er, Wächler, werde Quantitäten ermitteln und Vergleiche anstellen. Er werde, fügte Wächler hinzu, dabei wohl nichts Sicheres erfahren, schon gar nichts Neues, aber das sei auch gar nicht seine Absicht. Ich fragte Wächler, wann er denn aufbrechen wolle. Sofort, sagte Wächler. Auf der Stelle, schon geschehen, sagte Wächler. Er befinde sich eben jetzt im Aufbruch. Er leiste sich sozusagen den permanenten Aufbruch. Diese Mitteilung gab mir zu denken. Was, fragte ich mich, wird aus Wächler einmal werden? Ich glaubte an seine Fähigkeiten, aber ich glaubte nicht, dass er sie zu nutzen verstand. Sinnvoll zu nutzen, meine ich, insofern man Fähigkeiten ja auch nutzen kann, indem man sie verschleudert und verschwendet. Ihm einen persönlichen Ratschlag mit auf den Weg zu geben, gar eine Schutzformel, schien mir zwecklos; für Wächler gab es nur Wächler und sonst nichts. Jeden Ratschlag hätte er in den Wind geschlagen. Auf meinen Beistand glaubte er verzichten zu können, besserwisserisch, wie er war, beschimpfte er mich als Steigbügelhalter. Dennoch fühlte ich mich ihm verpflichtet, fühlte mich ihm zugehörig. Vielleicht lag es daran, dass Wächler, wie ich selbst ja auch, in diesem lehmigen Hinterland aufgewachsen war, dass er, wie ich selbst ja auch, als quirliger Knirps über die Hügel geradelt war mit einem Dreirad, immer hinauf und hinunter. Und, wie mir selbst ja auch, war ihm beim Erwachsenwerden ein Bart gewachsen, nicht ein Modebart, sondern ein Bart der vollen und rücksichtslosesten Männlichkeit. Ein Vollbart. Wir hatten also einiges gemeinsam, Wächler und ich. Und doch es gab auch Unterschiede. Wächler war drauf und dran, seine Natureinsichten zu dicken Büchern zu verarbeiten, während ich den Staub solcher Bücher tagtäglich inhalierte, ohne den geringsten Drang zu verspüren, selber ein Buch zu schreiben. Wächler kam vorwärts, ich nicht. Er trug sich mit dem Gedanken, ein Buch zu schreiben, während ich diesen Gedanken als lächerlich hinstellte. Ein Buch schreiben, sagte ich zu Wächler, auf diese Idee kann auch nur einer kommen, dem es in seiner Lebensuntüchtigkeit zu wohl geworden ist. In Wirklichkeit fand ich diese Idee aber gar nicht so lächerlich. Trotz meiner Skepsis sah ich in Wächler den Schrifsteller. Ich sah das Ursprüngliche und Kräftige in Wächler, das Schriftstellerische, ich wusste, dass dieser Mensch ein Duchhaltevermögen hatte wie ein Rhinozeros, ich hielt ihn für fähig, ein dickleibiges Buch zu schreiben. Und das war auch seine unverhohlene Absicht: ein dickleibiges Buch zu schreiben. Nicht so ein handliches kleines Büchlein für die Westentasche, nein, ein dickleibiges Buch. Einen Wälzer. Wenn man sich schon die Mühe mache, ein Buch zu schreiben, meinte Wächler, so müsse das Buch, das man schreibe, mindestens so dick sein wie ein Türpfosten. Mit der Schreibtischarbeit tat er sich allerdings noch schwer. Durch mein Handfernrohr sah ich ihn manchmal über die Wiesen springen. Er war sehr emsig. Kreuz und quer durchforschte er das Land, wobei sich seine Emsigkeit vor allem körperlich ausdrückte. Mit zirkelartig gespreizten, stabigen Beinen setzte Wächler, getrieben von seinem Forschergeist, über Niederflurhecken und Brennesselgejätt hinweg, eine Botanisierbüchse am Rücken, die wie ein Pfeilköcher aussah. Es war nicht schwer zu erraten, was er da trieb. Es sei keine Spielerei, was er da treibe, es sei seine wahre Berufung, behauptete Wächler, als ich ihn einmal beim Einkaufen antraf. Sogar im Supermarkt hatte er die Botanisierbüchse dabei. Sein Pflanzenverzeichnis sei bei weitem noch nicht vollständig, sagte Wächler, als Pflanzensachverständiger sei er hinsichtlich des Vorkommens einiger Pflanzen in dieser Gegend noch etwas im Ungewissen. Wächler nahm eine riesige Raviolidose aus dem Gestell und begann an ihr zu schnuppern. Hmmm, sagte er, Ravioli. Wächlers Ziele und Absichten lagen offen am Tag, waren für jedermann sichtbar und verstehbar, sogar beim Einkaufen gab er sich als Pflanzensachverständiger zu erkennen. Er stellte ein Verzeichnis aller Pflanzen auf, die in der Gegend seines neuen Wohnorts wuchsen. In Rettlingen, einem Dorf mit behäbigen Häusern, nicht weit von Challwälch entfernt am unteren Ausgang der Bürtentals, hatte Wächler eine geräumige Wohnung bezogen. Doch als Wohnung diente sie ihm nicht im mindesten, eher war sie so etwas wie eine Forschungsstation. In die immer enger werdenden Räume stopfte er so ziemlich alles hinein, was er für seine Forschungen brauchte - und sogar noch ein bisschen mehr. Er war, wie es sich für einen Forscher seines Formats gehörte, viel an der freien Luft. Die Erträge seiner Wanderungen waren beachtlich. Er sammelte botanisches Material, füllte Rispen und Samen in Tütchen und Couverts, beschrieb, rubrizierte, skizzierte mit enzyklopädischem Fleiss. Beim Freizeitbedarfshändler Oberhölzli kaufte er sich ein Campingzelt, das er irgendwo am Waldrand aufschlug. An geeigneter Stelle, wie er sagte. Er hatte sich die Stelle sorgfältig ausgesucht, obwohl es wahrscheinlich auch jede andere Stelle an jedem anderen Waldrand hätte sein können. Er hatte eine Taschenlampe, eine Isomatte, einen Schlafsack und ein Infrarot-Sichtgerät dabei, war also von Kopf bis Fuss auf Nacht eingestellt. Sobald es dunkel wurde, kroch er in das Zelt, entrollte die Isomatte, schlüpfte in den Schlafsack und schaute durch das Nachtsichtgerät auf die Wiese hinaus. Manchmal bewegte sich etwas im Gras, und Wächler notierte sich, was er sah: Grösse, Anzahl, Umfang, Richtung. Nächtelang lag er in seinem Schlafsack, lauernd, die Strichliliste stets in Griffnähe. Er führte eine Volkszählung durch. Drei Füchse, fünf Mäuse, sieben Käuze, eine Hauskatze, ein Marder, vier Hasen und einmal sogar ein Mensch. Manchmal bewegte sich auch nichts, und Wächler schlief ein. Die Welt, sagte Wächler, beginne gleich vor der Nase. Da trete man schon in die Welt ein, eine Nasenlänge voraus sei alles schon Welt, sei ein Ozean aus Welt, im nächtlichen Landschaftsraum dehne sie sich ins Unabsehbare, eine kalte raschelnde Schwärze, und wie die Luft durch sie hindurchhusche, durch diese nächtliche Weite, das sei recht unheimlich, meinte Wächler. Von daher war es verständlich, dass Wächler sich nachtsüber nicht im Freien aufhalten wollte. Das Zelt gewährte ihm Schutz. Trotzdem, Wächler war nun mal ein Forscher mit einem ausgeprägten Aussenbetätigungsdrang, und er war nicht gewillt, die Nächte nur in seinem Zelt zu verbringen, in seinem Unterstand, wie er dieses Zelt nannte. Immer nur dazuliegen oder dazusitzen, wäre ihm dann doch etwas zu eintönig gewesen. Und so nahm Wächler seinen ganzen Mut zusammen und tauchte ins Dunkle, machte von da an, natürlich mit geziemender Vorsicht, ein regelmässiges nächtliches Tournee. Das Nachtsichtgerät, ein klobiges Ding, das im Gehen kaum zu bedienen war, liess er im Zelt zurück. Seine Erleichterung war gross, als er feststellte, mit welcher Mühelosigkeit er sich im Dunkeln fortbewegen konnte. In gewisser Weise, sagte Wächler, verselbständige sich das Gehen, wenn man nicht wisse, wohin man gehe. Im übrigen, so Wächler, sei die menschliche Sehfähigkeit nichts anderes als ein Muskel, den man trainieren könne. Mit ruckhaften Kopfverdrehungen und kreisrunden Augen glotzte Wächler in die vom Nachtwind zerzauste Dunkelheit. Zum Glück sah ihn niemand, seine Eulenübung, wie er diese Übung nannte, behielt er für sich, bis er mir eines Tages davon erzählte, sich lachend bei einem Glas Bier über seine Eulenübung lustig machte. Eulenübung, prustete Wächler, wobei er fast noch sein Bier verschüttete. Und wie er damals angezogen gewesen sei, prustete Wächler, wie für einen Kostümball! Es sei ihm gar nicht in den Sinn gekommen, sich lächerlich zu finden, überhaupt habe er sich so komische Sachen angewöhnt, sei irgendwie komisch geworden... Auf seinen nächtlichen Streifzügen trug er eine sogenannte Bubitracht, kurze Hosen und Soldatenmütze, und zu seiner Ausstattung gehörte auch ein Holzgewehr, mit dem er herumfuchtelte, sobald in seiner Nähe ein Ästlein knackste. Das Holzgewehr, gab Wächler zu, sei nur so eine Marotte gewesen, mit diesem handgeschnitzten Spielzeug, das einem echten Gewehr nun wirklich nicht ähnlich sehe, habe er niemanden erschrecken können, er habe es nur als Selbstberuhigungsmittel gebraucht, im Notfall, so Wächler, lasse sich das Holzding wenn schon nicht als Gewehr, so doch immerhin als Knüppel gebrauchen. Als Wächler sein Foschungszelt abbrach, weil ihm das Herumstapfen im nächtlichen Wald zu umständlich und zu unergiebig wurde, schwor er sich, seine Forschungsmethoden zu vereinfachen. Kurze Zeit später war bei ihm wieder alles normal, er trug seine übliche Bekleidung, Cordhosen und ein kariertes Hemd, und er war jetzt nur noch tagsüber unterwegs. An allen Ecken und Enden dieser niederschlagsreichen Landschaft war Wächler hinter den Pflanzen und Pflänzchen her. Ich erinnere mich an einen April, es regnete häufig, eigentlich dauernd, es war nun wirklich nicht das Wetter zum Draussensein. Trotzdem sah ich Wächler durch mein Handfernrohr draussen herumgehen, ich sah ihn seine Gänge machen. Mit den Händen in den Hosentaschen stapfte er Morgen für Morgen in die verregneten Felder hinaus und inspizierte das Gras, als hätte er die weiten grünen Flächen eigenhändig angesät. Hin und wieder bückte er sich nach einem Insekt. Er hatte die Angewohnheit, sowohl geflügelte als auch ungeflügelte Insekten in die hohle Hand zu nehmen und durch eine Ritze zwischen den Fingern zu beobachten. Daneben begann er sich für Kultur zu interessieren. Einmal besuchten wir zusammen ein Laientheaterspiel. Wächler lachte schallend, als im dampfigen Bühnenscheinwerferlicht ein kugelrunder kleiner Mensch mit Pappnase und Zipfelmütze den Kasper machte. Daran hatte Wächler seine Freude. Und im Wirtshaus “Zum Stupfen”, in das wir gleich nach der Vorstellung hinübergingen, um unsern Flüssigkeitshaushalt zu regulieren, bestellte er zum Bier ein Glas mit Gewürzgurken. Im Unterschied zu ihm bestellte ich zum Bier einen grossen dampfenden Fleischteller. Über die Produkte der Hausmetzgete, auf der Schiefertafel am Eingang als Tagesmenu deklariert, rümpfte er die Nase: Fleischiges und Fettiges war ihm zuwider. Das Bier, sagte Wächler, verlange nach einer würzigen Zutat. Mit dieser Kombination halte er sich gesund. Die Würze baue den Alkohol ab und vermindere die Lust auf Fettiges, die sogenannte Fettlust. Alles in allem schien sich Wächlers Haltung etwas gemässigt zu haben. Eine gesunde Lebensweise war ihm wichtig. Er machte lange Märsche, Gesundheitsmärsche. Unter verschiedenen Adressen wohnte er zunächst im Bürtental, später dann im Hägerental, und belieferte verschiedene Zeitschriften, unter anderem die Vogelschau und das Vereinsorgan des Naturschutzbundes, mit fundierten Beiträgen über die heimische Tierwelt. Im folgenden Jahr verstärkte er diese Tätigkeit, die mindestens zur Hälfte eine Schreibtischtätigkeit war. Er veröffentlichte Beiträge im Lokalblatt, für die er viel Lob erhielt, vor allem von mir. Eines Tages verliess er die Gegend des Hägerentals, die Gegend der halbfertigen Häuser, der Baugruben und der unter Plastikblachen rostenden Baumaschinen, und ging nach Westen. Er ging durch die Wanderwälder, die bekanntlich im Westen besonders gross sind. Wächler, ein glühender Befürworter der Freiluftbewegung, fand es begrüssenswert, dass die verstädterte Allgemeinheit das Wandern wiederentdeckte, das Unterwegssein in der Natur. Er selbst drang auf Naturwegen immer weiter in die Natur vor. Auf die Leute, die ihm dabei entgegenkamen, gab er jedoch nichts. Es waren ihm zu viele, alle paar Schritte ganze Scharen rotbesockter Wanderer, die lärmend auf ihn zugetrampelt kamen. Er machte sich einen Spass daraus, sie wie Luft zu behandeln. Er ging quasi durch sie hindurch, und man kann ruhig sagen, das sei vielleicht nicht besonders höflich gewesen. Anstatt die Leute zu grüssen und mit ihnen zu plaudern, lief er mitten in sie hinein und durch sie hindurch. Er sammelte Pflanzen und Rindenstücke. Eine halbtote Maus diente ihm zu Versuchszwecken. Schon nach wenigen Stunden gab sie den Geist auf und war plötzlich ganz schlaff. Mit seinem Versuch, sie im Mikrowellenofen zu reanimieren, brachte er sie zwar nicht wieder zum Leben, aber viel toter, als sie schon war, wurde sie infolge dieser Massnahme tröstlicherweise nicht. Gleich darauf machte er sich daran, die Grössenverhältnisse der Wälder als Flächen wiederzugeben. Er zeichnete Pläne und ersann ein Verfahren, das ihm erlaubte, die Wälder auf dem Papier masstabsgetreu zu rekonstruieren. Ganz beiläufig machte er dabei die Entdeckung, dass in der Natur alles von einem einzigen Punkt ausgeht, sich verzweigt und irgendwo wieder in einem Punkt endet. Aus dieser Entdeckung destillierte Wächler eine interessante Theorie. Ein Hirnfurz, sagte er später, er habe einen Hirnfurz produziert, nichts als einen Hirnfurz habe er rausgelassen, und er wolle nunmehr seine ganze Kraft auf das Schreiben eines dicken und vollwertigen Buches verwenden. Seit dieser Ankündigung habe ich nie wieder etwas von Wächler gehört, und gesehen habe ich ihn auch nicht mehr, weder in Challwälch noch sonstwo.

 

 

 

2007