Frieden auf Erden

 

Eine Sonntagspredigt in unguten Zeiten 

 

Karlheinz Deschner konnte seine “Kriminalgeschichte des Christentums” veröffentlichen, ohne sich vor irgendwelchen Vergeltungen fürchten zu müssen. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ganz anders sieht es auf islamischer Seite aus. Salman Rushdie stand zehn Jahre lang unter Polizeischutz, der niederländische Filmemacher Theo van Gogh wurde nach der Premiere seines islamkritischen Films "Submission" auf offener Strasse ermordet, und Kurt Westergaard, der Zeichner einer reichlich harmlosen Mohammed-Karikatur, ist nur knapp einem Axthieb entgangen, nachdem zahlreiche dänische Botschaften gestürmt und niedergebrannt worden sind und hunderte Menschen bei weltweiten Ausschreitungen das Leben lassen mussten... Der Wahnsinn dieser Kopf-ab-Zensur hätte uns aufrütteln sollen. Eigentlich hätten wir den beleidigten Moslems unmissverständlich klarmachen müssen, dass die in unserm Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit keine Immunität für totalitäre, antisäkulare und gewaltbereite Religionen und Ideologien vorsieht. Und dass wir weder auf Allah noch auf Mohammed auch nur den geringsten Furz geben. Wir leben in einer säkularen Gesellschaft, nicht in einem Gottesstaat. Doch die westlichen Politiker, die nicht nur die Meinungs- und Darstellungsfreiheit, sondern auch das unveräusserliche Recht, Religionen und Ideologien zu kritisieren, auf dem Prüfstand sahen, haben, so scheint es, die Chance verpasst, für genau jene Grundwerte einzustehen, die sie bei jeder Festrede so emphatisch beschwören. Skandalöserweise wurde die Täter-Opfer-Relation vielfach umgedreht: während es doch völlig klar sein musste, dass eine Karikatur niemanden umbringt, sondern ein selbstverständliches Mittel ist, um bestimmte Zustände und Ideologien blosszustellen, ereiferten sich manche Politiker darüber, dass es den islamkritischen Karikaturisten an Respekt und Verwantwortungsgefühl fehle. An Respekt wovor? Vor dem mörderischen Islamismus? Vor dem verlogenen Friedensgefasel irgendwelcher ziegenbärtiger Muftis und Imame, die ein gewaltverherrlichendes Buch verehren? Man bedenke: im Koran gibt es insgesamt 25 Aufrufe zu Mord und Totschlag, und an mehr als 200 Stellen wird explizit zu Gewalt gegen Ungläubige aufgerufen. Kann man von einer solchen Religion erwarten, dass sie ihren Kritikern ein Kränzlein windet? Oder sich damit begnügt, eine Religion unter vielen zu sein? Lese ich als Nicht-Muslim den Koran, so muss ich einiges einstecken, viel mehr als ein Muslim einstecken muss, der mit Mohammed-Karikaturen konfrontiert wird. Zum Beispiel spricht mir der Koran die Menschenwürde ganz explizit ab, ich gehöre auf die Stufe der “Affen, Schweine und Götzendiener” (Sure 5:60) Dabei kann ich noch froh sein, dass ich kein Jude bin, die entsprechenden Koranstellen kann jeder selber nachschlagen. Es löst bei mir Kopfschütteln aus, wenn diejenigen, die diese wirren und hasserfüllten Texte als göttliches Diktum propagieren, auch noch Respekt einfordern. Welchen Respekt meinen sie wohl? Den gegenseitigen? Nein, ich sehe nicht ein, warum ich eine primitive und archaische Kameltreiber-Religion aus dem 7. Jahrhundert mit Sammethandschuhen anfassen soll, nur weil die betreffenden Kameltreiber immer noch der Überzeugung anhängen, sie hätten von Gott ein Wahrheitsattest erhalten. Man muss nicht jeden Blödsinn respektieren, und schon gar nicht eine Ideologie, die die Welt in Übermenschen (Gläubige) und Untermenschen (Ungläubige) einteilt, Gewalt verherrlicht, den Märtyrertod anpreist, Apostasie zum Verbrechen erklärt, zum Mord an Juden aufruft und jede Kritik mit einem Kopf-ab-Urteil beantwortet. Nun bekommt man natürlich immer wieder zu hören, es sei unzulässig, ja hochgradig verwerflich, einzelne Suren aus ihrem Kontext herauszureissen. Doch wer sagt denn, was der "richtige" Kontext ist? Kann man den "richtigen" Kontext einzelner Suren überhaupt erschliessen, wenn der Koran durch seinen expliziten Offenbarungsanspruch jede historisch-kritische Lesart verweigert? Das ist, als wollte man den Fünfer und das Weggli. Geht leider nicht. Entweder verneint man den Offenbarungsanspruch und verärgert damit die gläubigen Muslime - oder man respektiert diesen Offenbarungsanspruch und unterwirft sich damit der gläubigen Lesart, die den "richtigen" Kontext exakt so hinbiegt, dass er auf den Islam ein möglichst günstiges Licht wirft. Es wird dann immer das als "richtig" erkannt, was als "richtig" erkannt werden muss. Und wehe, man hält etwas anderes für "richtig"! Kurz gesagt: eine Kontexterschliessung, die eine historisch-kritische Deutung ausschliesst, läuft immer auf Betrug und Manipulation hinaus. Ohne Wissenschaft gibt es nun mal keine seriöse Theologie. Und daran hapert es im Islam ganz gewaltig. Ein gläubiger Muslim wird immer sagen: der Islam ist gut. Und wenn der Islam irgendwo nicht ganz so gut erscheint, wie das wünschbar wäre, dann hat man ihn eben falsch verstanden. Oder gewisse Menschen missbrauchen ihn. Man tut also gut daran, sich auf das eigene Urteil zu verlassen, und es steht jedem frei, den Koran beim Wort zu nehmen. Wer den Koran wie auslegen darf oder eben nicht, ist eine Frage, die immer genau dann in Anschlag gebracht wird, wenn es darum geht, den Koran und den Islam reinzuwaschen. Deshalb sollte man sich davor hüten, diese Frage allzu ernst zu nehmen. Wenn akademisch hochdekorierte muslimische Theologen, die sich mit dem Koran und all seinen Begleitschriften bestens auskennen, hirnrissige Todesurteile gegen Islamkritiker und Mohammed-Karikaturisten aussprechen, erübrigt es sich wohl, das muslimische Spezialwissen über die Finessen einzelner Suren in Anspruch zu nehmen. Man kann sich darauf verlassen, dass dieses Spezialwissen - trotz seiner exegetischen Bandbreite - immer und überall davon ausgeht, dass jedes Wort im Koran das ungeschaffene, unhinterfragbare Wort Gottes ist. Auf dieser Basis ist jede Theologie sinnlos, jede Exegese ein abgekartetes Spiel. Und nun zu einem zweiten, ebenso stereotypen Einwand: Grausamkeiten und Absurditäten gibt es doch auch im Alten Testament... Natürlich schon, ohne Zweifel. Dennoch macht man es sich mit diesem Vergleich zu einfach. Bibel und Tanach stehen auf einer völlig anderen Stufe als der Koran. Die heiligen Schriften der Juden und Christen sind zur Hauptsache Chroniken und Erfahrungsberichte, an denen Menschen unterschiedlichster Zeiten und Überlieferungstradtionen mitgearbeitet haben. Eigentlich handelt es sich dabei nicht um einzelne Bücher, sondern um ganze Bibliotheken. Die in ihnen gesammelten Geschichten sind literarisch gestaltet und dramaturgisch durchdacht. Es sind Storys, die jedem Hollywood-Drehbuch Ehre machen würden, mit interessanten Figuren, die uns auch heute noch etwas zu sagen haben. Nehmen wir zum Beispiel König Salomon. Laut Bibel soll er mit 700 Frauen verheiratet gewesen sein. Und weil er seine Eheprobleme wahrhaft salomonisch zu lösen verstand, wurde er zum Inbild eines weisen Königs. Für dieses Image sorgten die jüdischen Chronisten schon frühzeitig; wie kleine Webschiffchen woben sie von verschiedenen Seiten her an einem prächtigen royalen Erzählteppich. Selten ging es dabei um die historische Wahrheit. Vielleicht hatte König Salomon gar nicht so viele Frauen, vielleicht nur etwa 7, eine bescheidene Zahl, aber weil jeder Chronist beim Abschreiben und Überarbeiten der alten Überlieferung seine eigene Phantasie in das Leben des grossen Königs hineinwob, wuchs die Zahl mit der Zeit auf 700 an, und der König wurde immer grösser und grösser. Respektive sein Schlafzimmer. Die orientalische Entsprechung zum Alten Testament ist nicht der Koran, sondern die persische Märchensammlung "Tausend und eine Nacht". Der Koran hat ein völlig anderes Webmuster. Er setzt nicht auf die Überzeugungskraft von Erzählungen. Er setzt eher auf die suggestive Ansprache, den Aufruf, die Beschwörung, die Drohung und das Versprechen. Er hämmert uns etwas ein. Natürlich mit dem Anspruch, ein göttliches Diktat weiterzugeben. Er diktiert quasi etwas Diktiertes. Dieses doppelte Diktat wurde von einem einzigen Mann in eine spezifische Überlieferung überführt, in ein religiöses Rezitativ. Darin liegt einer der Gründe - und vielleicht der wichtigste - weshalb der radikale Islam gefährlicher ist als der Extremismus bei Juden und Christen. Einer religiösen Vision, die sich im Kopf eines einzelnen "Auserwählten" manifestiert, fehlen die Gegenstimmen, die Gegengewichte, die Vergleichsmöglichkeiten. Sie hat etwas Verrücktes und Verkapseltes, etwas Autistisches. Zwei oder mehr Verrückte können sich wenigstens gegenseitig neutralisieren. In seiner Entstehungsphase hatte das Christentum immerhin zwölf Apostel und vier Evangelisten, nebst Paulus natürlich, dem frühchristlichen Chef-Propagandisten, das Christentum entstand als Gruppenarbeit, im Austausch unter Gleichgesinnten oder als Auseinandersetzung zwischen Konkurrenten, etwa zwischen den Hellenisten und den Hebräern, zwischen Paulus und Petrus, viele Texte des Neuen Testaments waren ursprünglich Briefe, Streitschriften und Communiqués. Das alles finden wir im Koran nicht. Seine Monokausalität ist ein Problem. Wenn es nur EINER ist, der die Fäden in der Hand hat, besteht nun mal die Gefahr, dass sich da jemand eine Vollmacht ausstellt, die ihm vielleicht gar nicht zusteht. Ist diese Selbstermächtigung dann auch noch mit dem Bestreben verknüpft, andere Religionen zu adaptieren, zu korrigieren und zu vereinnahmen, sind Kollisionen unvermeidlich. Und da kommen wir schon zu einem weiteren heiklen Punkt. Der abrahamitische Monotheismus, der angeblich drei Weltreligionen vereint, ist eine Chimäre. Eine glatte Täuschung. Wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass hier ganz unterschiedliche Götter am Werk sind. Trotz seiner Aneignung jüdisch-christlicher Überlieferungen hat der Islam nicht etwa den Gott Abrahams übernommen - und erst recht nicht den dreifaltigen Gott der Christen. (An der Dreifaltigkeit ist Mohammed intellektuell gescheitert. Er hat sie schlicht nicht begriffen, was aber auch kein Wunder ist: selbst der Papst gibt zu, dass ihm die Trinität über den Verstand geht). Zwar beruft sich der Islam auf jüdische und christliche Quellen und mixt sich aus ihnen eine eigene abrahamitische Überlieferung zusammen, ein Vorgehen, das man zum Beispiel auch bei den Mormonen findet. Doch sowohl in seiner Symbolsprache als auch in seiner mythischen Grundierung beinhaltet der Islam ein Element, das bei Juden und Christen seit jeher auf Befremden stösst. Es ist dies die unterschwellige Adaption eines vorislamischen Mondkults. Der panarabische Gott, dem sich Mohammed unterworfen hat, trägt Züge des syrischen Mondgottes Baal, der seinerseits mit dem mekkanischen Mondgott Hubal identisch sein dürfte. In vorislamischer Zeit wurde Hubal in der Kaaba als höchste Gottheit verehrt, und sein Titel, kaum verwunderlich, war "Al lah", "Der Gott". Begleitet von Halbmond und Morgenstern hat diese archaische Gottheit - ganz unabhängig vom Islam - in der abendländischen okkulten Überlieferung eine heimliche Karriere gemacht als Widersacherprinzip, zum Beispiel in der Gestalt des Baphomet. Aus jüdisch-christlicher Sicht beten die Muslime also einen dämonischen Wüstengott an - und nicht den Gott Abrahams. Nun könnte man zu Recht einwenden, dass es für eine neue Religion ja immer eine Herausforderung darstellt, die Vorgänger-Religionen zu überschreiben, was natürlich am besten gelingt, wenn äusserliche Merkmale oder Kulte einfach übernommen werden. So hat ja auch das Christentum mehr oder weniger geschickte Anleihen bei älteren Religionen gemacht, etwa beim Dionysoskult. Doch beim Islam liegt der Fall dann doch etwas anders. Der zwielichtige, trickreiche, betrügerische und nirgends von "Liebe" sprechende Gott des Korans ähnelt auf fatale Weise dem abendländischen Teufel. Und Mohammeds Sprechweise, analysiert man sie psychologisch oder auch nur linguistisch, offenbart vor allem eines: eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem monomanischen Redezwang manisch-schizoider Patienten. Schon gleich am Anfang seines Höhlenerlebnisses liess Mohammed die Katze aus dem Sack, indem er eine dämonische Beeinflussung benannte, diesen irritierenden Hinweis dann aber nach dem ersten Schock zu retuschieren versuchte. Dadurch entstand ein aufschlussreiches Palimpsest. Eine moderne Exegese kann sich um Mohammeds Geisteszustand nicht herummogeln, auch deshalb nicht, weil Mohammed, was ziemlich gut bezeugt ist, Epileptiker war. (Übrigens, bevor sich die Christen die Hände reiben: auch Paulus war Epileptiker). Am Ende haben die Polytheisten vielleicht doch Recht: es gibt viele verschiedene Götter, und ständig führen sie gegeneinander Krieg. Der grösste Krieg im 21. Jahrhundert findet absurderweise in einem Götterhimmel statt, den man eigentlich abgeschafft hat. Wie reagiert nun das aufgeklärte Europa auf diese Zumutung? Anstatt sich Voltaires Parolen zu eigen zu machen und mit den Waffen des Wortes und des Witzes gegen religiösen Fanatismus und Obskurantismus in die Offensive zu gehen, übt man sich mehrheitlich in salbungsvoller Selbstkritik. Wir sind die Bösen. Wir haben die religiösen Gefühle der sensiblen Muslime ganz, ganz schlimm verletzt. Schnell hat man sich darauf geeinigt, dass der globale Hass der Muslime auf den christlich-jüdisch-säkularen Westen irgendwas mit politischen oder sozialen Unmutsgefühlen zu tun haben müsse. Was sich als religiöse Kränkung artikuliert, ist womöglich ein Aufschrei der Entrechteten, ja der ganzen dritten Welt. Diese Selbstbezichtigung (der böse, reiche Westen gegen die guten, armen Moslems) wurde sehr schnell salonfähig, weil wir Westler, geschult durch Christentum und Aufklärung, eine äusserst noble Fähigkeit zur Selbstkritik ausgebildet haben. Diese Fähigkeit, die wir berechtigterweise als Tugend begreifen, wird uns in diesem Fall zum Verhängnis. Denn sie verschleiert, dass die Fähigkeit zur Selbstkritik sehr einseitig verteilt ist. Die guten armen Moslems reagieren auf Kritik nämlich äusserst allergisch, während sie gleichzeitig alles verdammen, was dem Islam entgegensteht, so auch die säkulare Gesellschaft mit ihren Zumutungen und Risiken. Freilich ist das dieselbe Gesellschaft, die ihnen im Rahmen einer umfassenden Integrationspolitik viele religionsspezifische Sonderrechte zubilligt, während die Christen in islamischen Ländern froh sein können, wenn sie an Weihnachten nicht mit Brandfackeln und Bomben beschenkt werden. 

 

Gretchenfrage: ist das Christentum friedlicher als der Islam? Ja und nein. Obwohl die Evangelien (im Gegensatz zum Koran) eine explizite Gewaltlosigkeit verkünden, sind sie für einige der grössten Gewaltexzesse in der Menschheitsgeschichte zumindest mitverantwortlich. Das kommt nicht von ungefähr. Die Wahnsinnstaten, die von religiös übermotivierten Menschen begangen werden, sind ausnahmslos religiösen Ursprungs. Dies gilt für das Christentum genauso wie für den Islam. Doch die Logik ist unterschiedlich. Das Christentum hat sich im Laufe seiner Geschichte als eine Religion herausgebildet, die wie ein Passepartout funktioniert. Im Mittelalter war das Christentum mittelalterlich, und heute ist es modern, - vielleicht nicht ganz überall, aber wenigstens der Möglichkeit nach. Durch das ganze Mittelalter hindurch war die Kirche eine geistliche Kontrollmacht, die ihre Aufgabe vor allem darin sah, die alten heidnischen und gnostischen Impulse zu unterdrücken und mit den weltlichen Mächten in Konkurrenz zu treten. Diese Spannung hat sich inzwischen aufgelöst. Sie konnte sich auflösen, weil das Christentum von seinen Grundlagen her die dazu erforderliche Flexibilität mitgebracht hat. Die Entmachtung der Kirche ist möglich geworden, weil das Christentum in seinen Schlüsseltexten nicht als weltliche Macht definiert ist, ein Umstand, den sich Martin Luther zunutze gemacht hat, um das Papsttum für illegitim zu erklären. Ausserdem ist die Bibel nie als göttlich angesehen worden, sondern als Menschenwerk, wodurch man gezwungen gewesen ist, den Glaubensinhalt immer wieder neu zu erschliessen und neu zu definieren. Es gab nie einen fixen Horizont, der das Denken begrenzte, denn das biblische Wort hat nicht den Rang eines göttlichen Diktats. Es steht von vornherein zur Debatte. Und deshalb kann ein Christ sein Denken (zumindest theoretisch) viel weiter vorantreiben als ein Muslim. Inzwischen kann sich das Christentum sogar rühmen, die Moderne fast vollständig in sich aufgenommen zu haben. Christen können sich, wie etwa Dorothea Sölle, offen zum Atheismus bekennen und trotzdem engagierte Kirchen-Christen sein. Oder sie können, wie Eugen Drewermann, bedenkenlos einen theologischen Mix aus Psychoanalyse, Philosophie, Esoterik und Katholizismus herstellen. Moderne Christen brauchen die Moderne weder zu verleugnen noch zu bekämpfen. Mit bestem Gewissen können sie für Toleranz eintreten, obwohl der Toleranzgedanke mit der Bibel nicht das Geringste zu tun hat. Aber genausogut können Christen unter Berufung auf die Bibel an mittelalterlichen Gepflogenheiten festhalten und vermeintlich “verhexte” Personen foltern, um sie von Dämonen zu befreien - wie es tagtäglich in Afrika geschieht. Das Christentum ist extrem dehnbar. Die Definition dessen, wie es sich gegenüber weltlichen Belangen verhalten soll, überlässt es denjenigen, die den Mut oder die Skrupellosigkeit besitzen, diese Definition in die eigene Hand zu nehmen. Der christliche Heilsplan ist so vage und utopisch formuliert, dass er jeden Missbrauch zulässt, jeden Winkelzug erlaubt, sich aber auch als unendlich anpassungsfähig erweist.

 

Der Islam besitzt weder die Schwächen noch die Stärken des Christentums. Mohammed hat von Anfang an Nägel mit Köpfen gemacht. Er hat ein Programm aufgestellt. Er war Realpolitiker, Feldherr, Gesetzgeber, Sittlichkeitswächter und Hygieneinspektor, und seine Ideologie war von Anfang an darauf ausgerichtet, jede Konkurrenzideologie hinwegzufegen - ob mit oder ohne Gewalt. Meistens jedoch mit Gewalt. Die Idee des heiligen und gottgewollten Krieges, die Mohammed spätestens seit Medina auf seine Fahne geschrieben hat, ist der Motor, der den Islam in seiner Anfangszeit angetrieben hat und bis heute sein ideologisches Agens geblieben ist. Darin nur eine Begleiterscheinung zu sehen, die man mit dem Hinweis auf “damalige Verhältnisse” wegretuschieren kann, ist typisch für eine Sichtweise, die sich vorschnell darauf verlegt hat, den gewalttätigen Dschihadismus als ein bloss politisches oder soziales Problem zu begreifen. Damit liegt man zwar nicht ganz falsch, weil Menschen ja immer in sozialen und politischen Kontexten handeln, und trotzdem versteht man das Problem nur partiell. Während abtrünnige muslimische Autoren unermüdlich auf die theologisch fundierte Geisteshaltung dschihadistischer Gewalt hinweisen - unter ihnen zum Beispiel Mark A. Gabriel, ehemaliger Professor für Islamische Geschichte an der Al-Azhar Universität Kairo, oder neuerdings auch der deutsch-ägyptische Politwissenschaftler Hamel Abded Samad - ist es bei uns gang und gäbe, die theologische und historische Zusammengehörigkeit von islamischen Grundüberzeugungen und terroristischem Dschihadismus zu leugnen oder zu relativieren. Nach offizieller Lesart haben wir den Islam als eine Religion zu betrachten, die ähnlich tickt wie das (moderne) Christentum. Der ursächliche Zusammenhang zwischen islamischer Theologie und dschihadistischem Terrorismus wird als diffamierend zurückgewiesen, obwohl er eigentlich auf der Hand liegt. Was nicht sein darf, wird trotz eindeutiger Beweislage unter den Teppich gekehrt. Die gefällige Unterscheidung zwischen Islam und Dschihadismus ist jedoch hochgefährlich, weil sie den Extremisten den Rücken freihält. Indem man aus Rücksicht auf die unbescholtenen Muslime eine Trennlinie zum Extremismus zieht, verharmlost oder negiert man die theologische Legitimation der Gewalt im Islam. Diese Legitimation ist keine Interpretationssache. Man könnte das mit einem Arbeitsvertrag vergleichen. Wenn ich einen Arbeitsvertrag unterschreibe, verpflichte ich mich, die vertraglich festgeschriebene Arbeit zu erledigen. Wenn ich mich vor dieser Arbeit drücke, weil sie mir unangenehm ist, liegt das mit Sicherheit nicht am Arbeitsvertrag, sondern an meiner persönlichen Einstellung. So verhält es sich auch mit dem Islam. Was er will, ist relativ einfach zu definieren: die Weltherrschaft. Die totale und totalitäre Unterwerfung der Menschen unter ein einziges religiöses Prinzip. Punkt. Dieses Ziel ist in ihm angelegt, und zwar methodisch. Daran ändern auch Millionen gemässigter Muslime nichts. Natürlich haben die Ritter der Political Correctness insofern Recht, als die meisten Muslime nichts mit Gewalt am Hut haben. Aber darum dreht sich die Diskussion ja eigentlich gar nicht! Es geht um die Ideologie, die den Islam antreibt. Es geht um eine politisch-religiöse Bewegung, die man zu Recht als faschistoid und totalitär bezeichnen kann. Es stimmt einfach nicht, dass der Islam eine friedfertige Religion ist. Die Terroristen von Al-Kaida und vergleichbaren Organisationen verstehen den Islam vollkommen richtig. Sie missbrauchen ihn nicht. Es ist ja wohl kein Zufall, dass die meisten Anführer islamischer Terrorgruppen den Koran (und nicht etwa das Manifest von Karl Marx oder das Rote Buch von Mao) als ihre wichtigste Inspirationsquelle erachten. Die extremistische Koranauslegung als eine von vielen - oder gar die falsche - hinzustellen, ist ziemlich durchsichtig und geht an der Sache vorbei. Erstens gibt es im Islam keine geistliche Hierarchie, es gibt keine allgemein anerkannte Prüfstelle oder Autorität, nicht einmal innerhalb der verschiedenen Konfessionen; grundsätzlich kann sich jeder Muslim zum Geistlichen erklären und in der Stube vor dem Fernseher eine Fatwa aussprechen oder gar den Heiligen Krieg ausrufen. Das fehlende Deutungsmonopol hat zur Folge, dass auch ein Osama bin Laden den "richtigen" Islam definieren darf. Und zweitens hat Mohammed selbst den gewalttätigen Dschihadismus mit Taten und Worten initiiert. Ein Grossteil des Korans handelt von nichts anderem als von einem Dschihad, der mit verschiedenen Methoden der Beeinflussung, Infiltration, Unterwerfung und Krieg die Herrschaft der Gläubigen über die Ungläubigen zu erringen versucht. Ich möcht hier gar nicht erst anfangen, Koranstellen zu zitieren. Das Spiel kennen wir aus zahllosen TV-Disputen. Zu jeder Koranstelle, die den Glaubenskampf befürwortet, findet man mit Garantie eine Koranstelle, die das Gegenteil behauptet und den Islam als eine friedfertige Religion erscheinen lässt. Hinter dieser Ambivalenz steckt freilich ein System. Wenn mit aufklärerischem Gestus behauptet wird, (und viele moderate Muslime glauben es wohl selbst), dass der Begriff Dschihad in erster Linie mit individueller Sinnsuche zu tun habe, mit Wohltätigkeit und spiritueller Selbstverpflichtung, so gehört diese Relativierung quasi dazu, sie ist Teil des umfassenden, schon von Mohammed ins Werk gesetzten Dschihads, und zwar auch des gewalttätigen Dschihads. Natürlich hütet man sich, dies offen zu deklarieren. Weil es für die muslimische Gemeinschaft von Vorteil sein kann, mit Christen und Juden in Frieden zu leben, zitieren Muslime mit Vorliebe Suren, die dem “Klischee” des gewalttätigen Dschihadismus scheinbar widersprechen. Doch in Wirklichkeit handelt es sich bei solchen Zitaten um Koranstellen, die von späteren Aussagen überschrieben worden sind. Das System der Selbstkorrektur - die sogenanne Abrogation, auf arabisch “naskh” - ermöglicht es Muslimen, zwischen widersprüchlichen Aussagen zu changieren, um verschiedenen Situationen gerecht zu werden. Was nicht heisst, dass der Koran Widersprüche zulässt, im Gegenteil. Das System der Abrogation schreibt vor, dass bei einem Widerspruch - und vor allem wenn es hart auf hart kommt - immer nur die spätere Sure gültig ist. Auf diese Weise treiben Korangelehrte ein virtuoses Spiel mit Koranstellen, die einander scheinbar widersprechen. Aber eben nur scheinbar, da im Zweifelsfall die jeweils spätere Koranstelle das grössere Gewicht besitzt und als Zünglein an der Waage fungiert. Dennoch sind die überschriebenen Koranstellen für den Islam von grossem Nutzen. Da sie nicht grundsätzlich falsch sind, sondern lediglich relativierbar, erweisen sie sich als hilfreich, wenn es darum geht, einen Gegner zu beschwichtigen, zu überzeugen und über den Tisch zu ziehen. Wenn Muslime ihre Interessen nicht offensiv durchsetzen können, weil sie in einer unterlegenen Position sind, stellen sie den Islam mit Vorliebe als eine vertrauenerweckende Religion dar, indem sie bei öffentlichen Disputen aus dem mekkanischen Koran zitieren, der noch sehr moderat mit (monotheistischen) Andersgläubigen verfährt, aber in vielen seiner Aussagen vom medinensischen Koran, der später entstanden ist, korrigiert wird. Im Umgang mit den ihm nahestehenden Buchreligionen treibt der Islam also ein doppeltes Spiel. Dieses Täuschungsmanöver ist Teil des Dschihads. Sobald die Muslime aufgrund des erschlichenen Vertrauens und der ausgehandelten Sonderkonditionen über geeignete Machtmittel verfügen, steuern sie auf eine offene Konfrontation zu. Eine muslimische Mehrheitsgesellschaft kann weder demokratisch noch pluralistisch sein. Die medial verordnete Unterscheidung zwischen “gemässigt” und “radikal” ist irreführend, reine Spiegelfechterei. Beide Parteien ziehen am selben Strick. Wenn der gesellschaftliche Raum religiöser Enfaltung von den gemässigten Muslimen gesichert worden ist, stossen die Radikalen in die Presche vor und errichten eine theokratische Machtbasis. Die Gemässigten sind - oft auch unfreiwillig - das Trojanische Pferd, das den Radikalismus in die Gesellschaft hineinschmuggelt. Diese Sichtweise hat nichts mit “Islamophobie” zu tun, denn sie lässt sich sowohl empirisch als auch von der islamischen Textbasierung her sehr gut belegen. Wer vor Giftschlangen warnt, braucht noch lange kein Schlangenphobiker zu sein. Die Tatsachen sind allzu offensichtlich. Weil der Islam eine Politreligion ist, lässt er sich nur schwer in eine säkulare Gesellschaft einbinden, das unterscheidet ihn von nahezu allen andern religiösen Gruppierungen, auch von sehr eigenwilligen. Freilich gibt es diese Unterschiede auch innerhalb des Islam. Die Aleviten zum Beispiel haben mit dem Säkularismus weitaus weniger Probleme als die Sunniten. Daher wundert es nicht, dass die Aleviten von den Sunniten als Häretiker abgestempelt und in vielen islamischen Ländern drangsaliert werden. Und hier zeigt sich die augenfälligste Schwäche des Islam: seine innere Zerstrittenheit. Sein grösster Feind ist er selber. Der Nahost-Kenner Peter Scholl-Latour, dem nun wirklich niemand “Islamophobie” nachsagen kann, hat - als einsamer Mahner in der Wüste - schon mehrfach darauf hingewiesen, dass nahezu alle Konflikte in islamischen Ländern religiös motiviert seien. Der sogenannte arabische Frühling war nur der Auftakt zu einem religiösen Flächenbrand mit verfolgten Minderheiten, primitivstem Antisemitismus, Scharia-Exzessen, Genoziden, Anarchie und Terror... Assad (ein intelligenter Mann übrigens) hat vielleicht gar nicht so unrecht, wenn er seine Diktatur als das kleinere Übel bezeichnet. Wo die Revolution gesiegt hat, hat nicht etwa die Demokratie gesiegt, sondern der radikale Islam, der nicht nur für Andersgläubige, sondern auch für muslimische Minderheiten eine akute Gefahr darstellt. Wo er nicht gesiegt hat, wie zum Beispiel in Ägypten, ist das nur möglich gewesen, weil das Militär den islamistischen Plebiszit brutal eliminiert hat. Trotz einzelner taktischer Zugeständnisse duldet der Islam nur sich selbst, jede Konkurrenzideologie (und dazu gehört auch der westliche Säkularismus) wird in seinem Einflussbereich Stück für Stück vereinnahmt und schliesslich verschlungen. Ein Missbrauch von dieser Seite her ist ausgeschlossen. Der Islam will das Ganze und geht aufs Ganze. Angetrieben von diesem Ziel, entfaltet er eine erstaunlich selbstzerstörerische Konsequenz.

 

Im Endeffekt schüren beide Religionen - sowohl Islam als auch Christentum - Konflikte, die ursächlich mit den jeweiligen Grundüberzeugungen zusammenhängen. Während der Islam durch seinen fadengraden Anspruch politischer und gesellschaftsformender Expansion eine reale oder zumindest potentielle Gefahr für sich selbst und den Weltfrieden darstellt, muss sich das Christentum vorwerfen lassen, eine opportunistische “Schwurbel-Religion” zu sein. Diese “Schwurbel-Religion” ist auch deshalb so schwurbelig, weil das Evangelium nicht vorschreibt, nach welchen Gesetzen, Regeln und gesellschaftlichen Werten die Menschen ihr Zusammenleben zu organisieren haben. Allein mit gutnachbarschaftlicher Nächstenliebe lässt sich keine Gesellschaftsordnung etablieren. Ebendeshalb hat sich das Christentum - etwa in der Gesetzgebung oder in der Politik - gezwungenermassen mit weltlichen Instanzen arrangieren und austauschen müssen. Und so hat der Humanismus seine historische Chance bekommen: nicht als Gegenpol zum Christentum, sondern als dessen Ergänzung. Christentum und Humanismus stehen sich in vielem sehr nahe; beide wurzeln in einem menschenzentrierten Platonismus und haben sich - wenn auch nicht immer konfliktfrei - gegenseitig nachhaltig beeinflusst. Die Folgen dieser Wechelwirkung erkennen wir heute vor allem vor dem Hintergrund eines sich zunehmend brutaler und archaischer gebärdenden Islam. Nirgendwo auf der Welt gibt es Christen, die sich aufgrund ihres Glaubens bemüssigt fühlen, Ehebrecherinnen zu steinigen, Homosexuelle aufzuhängen oder einen Glaubensabtrünnigen auf die Todesliste zu setzen. Eine kürzlich durchgeführte Studie des Pew Research Centre zeigt den Unterschied zwischen Islam und Christentum mit erschreckender Deutlichkeit: in einzelnen islamischen Ländern fordern bis zu 95 Prozent aller Muslime die Todesstrafe für Apostasie. Einen derart flächendeckenden Fanatismus hat es im Christentum nicht einmal in den finsteren Zeiten der Katharerverfolgungen und Hexenverbrennungen gegeben. Wohlverstanden, es handelt sich hier nicht um die extremistische Haltung einzelner Islamisten, sondern um den praktizierten Mainstream. “Jene, die den Islam ablehnen, müssen getötet werden. Wenn sie sich vom Islam abkehren, ergreift sie und tötet sie, wo immer ihr sie findet...” (Sure 4.89) Solche Sätze brauchen keine extremistische Auslegung, sie sind an und für sich schon extremistisch. Wer den Islam als eine “normale” Religion hinzustellen versucht, die es unter dem Aspekt der “Religionsfreiheit” und “Toleranz” zu respektieren gilt, sollte sich vielleicht mal bei der iranischen Geheimpolizei nach den von den Mullahs empfohlenen Methoden zur Eindämmung der Apostasie und Ketzerei erkundigen. In zahlreichen islamischen Staaten werden Apostaten und Islamkritiker völlig legal gefoltert und ermordet. Kratzt man den spirituellen Zuckerguss weg, stösst man ziemlich schnell auf die eigentliche ideologische Substanz dieser Religion. 

 

Nichtsdestotrotz haben die Christen wenig Grund zu Überheblichkeit. Sobald die christliche Botschaft jeden nur denkbaren Lebensbereich durchdringen soll, verliert sie sozusagen den Rückhalt in sich selbst. Sie wird totalitär. Ein Glaube, der alle Lebensaspekte umfasst, also auch die Politik, ist im Evangelium nicht vorgesehen. Wenn sich religiöse Funktionäre dennoch dazu berufen fühlen, das grosse Ganze anzustreben, indem sie die frohe Botschaft so zurechtbiegen, dass sie allen weltlichen Belangen übergeordnet werden kann, gerät das Christentum unweigerlich in Widerspruch zu sich selbst. Es gerät in die klassische Schieflage des christlichen Fundamentalismus. Dabei ist immer auch Politik im Spiel, - obwohl im Evangelium nichts von einer politischen Mission zu lesen ist. Politische Einmischung kann man Jesus und seinen Jüngern nicht nachweisen. Den Fundamentalisten kann das egal sein, weil sie sich ja nicht von politischen Interessen leiten lassen. Es geht ihnen nicht um Parteipolitik und schon gar nicht um die Sachfragen des täglichen Lebens, sondern um die Umwandlung realer Politik in ein phantastisch-biblisches Szenario. Gut und Böse stehen fest, und die christlichen Fundis dopen sich mit geilen Bibelsprüchen und steigen in den Ring, um den Endkampf auszutragen. Dazu ist ihnen fast jedes Mittel recht. Die Politreligion der Evangelikalen setzt auf Massensuggestion, Wunderheilungen ab Fliessband, Gehirnwäsche bei Kindern und Jugendlichen und apokalyptische Mobilisierung. Was in den regulären Kirchen zumindest seit dem 19. Jahrhundert diesen Totalitarismus verhindert, ist im wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen, und immer treten sie in Kombination miteinander auf: erstens die konsequente Trennung von Kirche und Staat. Und zweitens die Verweltlichung der Kirche unter den Vorzeichen einer säkularen Vernunft, die nicht durch dogmatische Verabsolutierungen aufgehoben werden kann. Ohne die regulierende Beimischung säkularer, resp. säkularisierender Humanität und Kultur verliert das Christentum seine Bodenhaftung und damit auch seine "Beisshemmung". Es wird gefährlich. Gegenwärtig erkennen wir solche Tendenzen vor allem im Evangelikalismus. Die Hardcore-Christen holen auf: allerdings im Rückwärtsgang. Sie versuchen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Sie wollen hinter die Aufklärung zurück. Sie wollen das ganze Leben - und natürlich auch die Politik - auf biblische Grundlagen stellen. Dieses Vorhaben ist paradoxerweise nur deshalb zu rechtfertigen, weil die christliche Ethik im Realpolitischen versagt. Versagen muss. Das Problem ihrer praktischen Weltbemächtigung ist unlösbar, denn das Neue Testament sagt kein Wort darüber, wie der Glaube realpolitisch und institutionell gelebt werden muss. In diesem Punkt waren und sind die Christen völlig auf das eigene Urteil gestellt. Woher kommt das? Der dysfunktionale Realitätssinn, der sich im Neuen Testament offenbart, hat ganz wesentlich mit der sogenannten Parusieverzögerung zu tun. Die ersten Christen rechneten täglich mit dem Weltuntergang. Jesus selbst ist davon überzeugt gewesen, dass das Jüngste Gericht noch zu Lebzeiten der Jünger anbrechen würde. Eine Religion, die mit dem baldigen Weltende rechnet, hat logischerweise kein Interesse daran, sich in der Welt einzurichten. Was bringt es, Vorratskammern zu füllen, wenn man morgen oder übermorgen schon vor den Herrn treten muss? Also konzentriert man sich auf die Gegenwart und trifft keinerlei Vorsorge. “Sie säen nicht und sie ernten nicht, und sie leben doch...” Da sich aber Christus und seine Jünger in Bezug auf das Weltende geirrt haben, sind die Christen in der Folgezeit und bis heute zu ständigen Kompromissen gezwungen gewesen. Damit sie sich in der munter weiterexistierenden Welt behaupten konnten, traten sie bald schon aus dem ängstlichen Schattendasein des Urchristentums heraus und gingen in die Offensive, schmiedeten Bündnisse, betrieben Politik, gründeten Institutionen, füllten Schatztruhen, verfolgten Abweichler etc. etc. Selbstverständlich wäre dieser Schritt nach oben und an die Macht überhaupt nicht möglich gewesen, hätten die Christen ihre Ethik nicht abgeschwächt, verfälscht oder sogar völlig auf den Kopf gestellt. Freilich nicht immer mit kriminellen Absichten. Es gibt auch eine harmlose Art der Korrumpierung, eine Art Selbstkorrumpierung, die mit Bescheidenheit, Kompromissbereitschaft und Realitätssinn zu tun hat. Religiöse Verstiegenheit scheitert zum Glück immer wieder an der ganz natürlichen materiellen Schwerkraft, der wir Menschen ausnahmslos unterworfen sind. Da machen auch Heilige und Gurus keine Ausnahme. Nicht einmal Franz von Assisi ist es gelungen, seine Glaubensgemeinschaft ohne Geld und Bürokratie zusammenzuhalten. Wie die Vögel auf dem Felde leben nur die Vögel, für die Menschen gelten andere Gesetze. Aufgrund dieser Diskrepanz, die den christlichen Moralkodex als beliebig dehnbar erscheinen lässt, können sich auch Mörder, Folterknechte und Herrscher auf die Bibel berufen. Im Islam ist die ethische Logik eine völlig andere. Hier gilt es eine wichtige Unterscheidung zu machen: der islamistische Gewalttäter muss die Satzungen des Korans weder umschreiben noch zuspitzen, damit sie seinen Intentionen entsprechen. Er kann sie eins zu eins übernehmen. Die Frage ist nur, in welcher Situation er berechtigt ist, Gewalt anzuwenden. Hier können die Meinungen auseinandergehen. Der Streitpunkt ist also nicht, ob Gewalt berechtigt ist oder nicht, sondern lediglich, in welcher Situation und in welcher Form. Gewalt wird im Koran nicht abgelehnt oder schlechtgemacht, sie wird als etwas behandelt, das prinzipiell zu Gebote steht. Diese Gewaltphilosophie kann man vielleicht am ehesten mit fernöstlicher Kampfkunst vergleichen: Gewalt wird bejaht, aber sie muss kontrolliert werden. Es geht nicht um Gewaltverzicht, sondern um den kalkulierten Einsatz von Gewalt zur Erreichung “höherer” Ziele. Insofern bietet der Koran eine ausgefeilte Kampfideologie, die umso effizienter ist, als sie sich hochgradig selbstreferentiell verhält. Inhalt und Ausrichtung des Korans bestehen darin, die Botschaft durchzusetzen, um die es im Koran geht, und die da lautet: der Koran muss sich durchsetzen. Das ähnelt ein bisschen dem Prinzip der Kettenbriefe, die sich virusartig ausbreiten, weil sie die Anleitung zu ihrer Weiterverbreitung quasi mitliefern. Die islamische Ethik ist daher denkbar einfach: gut ist, was dem Islam nützt, schlecht ist, was dem Islam schadet. Mohammed hat systematisch Krieger und Kaufleute um sich geschart, weil er damit im religiösen Machtpoker die besseren Karten hat ausspielen können. Im Christentum stellt sich die Sache ganz anders dar. Jesus hat sich explizit an nicht besonders gesellschaftsfähige Zeitgenossen gewandt: an Randständige, Tagelöhner, Büetzer und Teilzeitschmarotzer, mitunter sogar an Römer und Kollaborateure. Also vorwiegend an Leute, die seinem Image nicht besonders förderlich sein konnten. Selbst wenn man redlicherweise zugeben muss, dass die historische Figur namens Jesus von Nazareth nur spärlich dokumentiert ist, besteht wenig Zweifel daran, dass der umherziehende Rabbi jeden politischen Einfluss verschmäht hat. Wäre es seine Absicht gewesen, als Judenkönig aufzutreten und die “ungläubigen” Römer aus dem Land zu werfen, so hätte er einflussreiche, in der einheimischen Nomenklatura gut vernetzte Freunde suchen und eine schlagkräftige Privatarmee aufbauen müssen, ähnlich wie Mohammed. Doch nichts dergleichen hat Jesus getan. Nicht nur die anekdotischen Erzählungen über sein Leben (die teilweise erfunden sein mögen), sondern auch die ihm zugeschriebenen Predigten und Gleichnisse weisen in eine Richtung, die der Denk- und Glaubenshaltung eines Mohammed völlig entgegengesetzt ist. Im Brennpunkt der christlichen Lehre stehen nicht die Sieger und Rechtgläubigen, sondern die Schwachen, Verirrten und Aussenseiter. Und damit vor allem auch diejenigen, die den “richtigen” Glauben nicht haben - und wahrscheinlich auch nie haben werden. Diese völlig andere Werthaltung lässt sich jedoch nicht hunderprozentig aus dem Wortlaut der christlichen Botschaft ableiten. Es ist eher die Person des Botschafters, was hier den Ausschlag gibt. Jesus, ein strenggläubiger Jude und nicht im geringsten daran interessiert, eine neue Religion zu gründen, hat eigentlich nichts umwerfend Neues gepredigt: er hat das theologische Vokabular des Tanach (Gerechtigkeit, Frieden, Gnade, Busse, Barmherzigkeit, Sünde) lediglich etwas aufgefrischt und unters Volk gebracht. Er hat, um es mit Matthäus 9.17 zu sagen, alten Wein in neue Schläuche gefüllt. Doch wie man weiss, hat es selten je eine Reform ohne Sprengstoff gegeben, und je charismatischer ein Reformator, desto grösser seine Wirkung - selbst dann, wenn seine Botschaft gar nicht so revolutionär ist. Das Spezielle und eigentlich Provozierende an Jesus war seine ethische Direktheit. Es gelang ihm, die Grundaussagen des jüdischen Glaubens um eine brisante ethische Dimension zu erweitern, indem er die Rechtgläubigkeit nicht als das Mass aller Dinge postulierte. Die Gottesherrschaft, auf die er sich bezog und die er ankündigte, definierte er nicht vom Gesetz her. Sie war für ihn kein Machtfaktor, nichts, was sich mit Auflagen, Bestimmungen und Geboten erzwingen liess. Demgemäss definierte er das Reich Gottes mit den Methoden eines Zen-Meisters, er durchbrach Konventionen, missachtete gesellschaftliche Schranken und verwies unermüdlich auf eine Dimension, die sich irdischen Ein- und Abgrenzungen entzieht. Mit alledem schlug er die Leute vor den Kopf, warf ihre Erwartungen über den Haufen und brachte sich in Widerspruch zur religiösen Elite seiner Zeit. Darin lag denn auch das Potential zu einer neuen Religion. Das Christentum ist eine Religion der Inklusion. Nicht der Rechtgläubige (der Pharisäer) hilft dem Verwundeten, sondern der gesellschaftlich Geächtete (der Samaritaner). Der “Andere” wird hier zweifach angenommen: sowohl in der Gestalt des samaritanischen Aussenseiters als auch in der Gestalt des Verwundeten, des nackten und wehrlosen Menschen. Dies versteht man unter Inklusion: Einschluss des Fremden und Anderen. Die Akzeptanz von Schwäche und Ohnmacht. Kein Totschläger kann sich reinen Gewissens auf die Bibel berufen, auch dann nicht, wenn er für das Christentum kämpft. Christliche Ethik taugt nicht als Legitimationsgrundlage für Sieger, Kämpfer und Rechthaber, und darin unterscheidet sie sich fundamental von der islamischen Ethik, die den Kampf für den Glauben und die Rechtgläubigkeit unmissverständlich in den Mittelpunkt ihrer Botschaft stellt. Diesen Kampf nennt man “Dschihad”. Um den “Dschihad” dreht sich alles im Islam. Es ist wichtig zu verstehen, dass es bei diesem Kampf von untergeordneter Bedeutung ist, ob er friedlich oder gewalttätig geführt wird, denn “gut” oder “schlecht” sind im Islam nicht pazifistische Kategorien, sondern bezeichnen lediglich den Nutzen für die Religion. (Was schon Mohammed eindrücklich demonstriert hat). Verständlicherweise tun wir uns schwer damit, diese uns völlig fremd erscheinenden ethischen Normen zu verstehen oder gar zu akzeptieren. Dass der Koran Gewalt, Kampf und Krieg unter bestimmten Bedingungen als heilige Handlungen anerkennt und sogar anpreist, ist für uns skandalös, genauso wie es für Muslime skandalös ist, dass Gott Mensch sein, Schwäche zeigen und sich kreuzigen lassen kann. Der Islam ist von Grund auf als Siegerreligion konzipiert, als eine Religion der “Weltbemächtigung”. Für Weicheier und klösterliche Askese hat er nicht viel übrig. Ganz anders das Christentum, das schon ziemlich früh eine monastische Linie ausgebildet hat. Lange bevor sich die Kirche - die organisierte Ekklesia - als Grossmacht etablieren konnte, gab es schon jede Menge Klöster und Einsiedeleien: kleine christliche Utopiezellen. Darin muss man auch eine Verlegenheitslösung sehen. Der Weltbezug ist bei den Christen schon immer ein Problem gewesen, etwas Unbewältigtes und eher Verdrängtes: eine leere Stelle. Der christliche Fundamentalist, der seine Glaubensauffassung politisch durchsetzen möchte, hat diesbezüglich keine Vorgaben, er hat freie Hand. Denn das Evangelium enthält alles, nur nicht die eigene Gebrauchsanweisung. Das Reich Gottes liegt nicht im Bereich politischer Machbarkeit. Was manche Christen aus naheliegenden Gründen nicht davon abhält, sich politisch zu organisieren und die Bibel als lebenspraktischen Leitfaden zu propagieren. Damit haben sie natürlich nicht ganz unrecht. Ein überzeugter Christ aus Rüschlikon, der als Familienmensch, Bankangestellter, Fussballfan und Rahmdeckelisammler womöglich ganz anders lebt als ein aus allen sozialen Bindungen herausgelöster Wanderprediger und Weltuntergangsprophet in Palästina zur Römerzeit, hat gar keine andere Wahl, als seinen Glauben auf den bescheidenen Grundsatz irdischer Wirksamkeit zu stellen, und trotzdem beruht dies auf einem gravierenden Missverständnis. Das Reich Gottes passt nicht in ein politisches Programm und findet sich in keinem Adressbuch und auf keinem Rahmdeckeli. Was ist denn das Reich Gottes überhaupt? Die Bibel verrät es nicht. Sie spricht in Rätseln, in Allegorien und Andeutungen. Weil die Bibel ihren “Heilsplan” eher andeutet als konkretisiert, kann sie ohne weiteres zur Sanktionierung von weltlichen Zielen herangezogen werden, zum Beispiel zur Verhütung von Empfängnisverhütung oder zur Verunglimpfung von Abtreibungsärzten. Die Bibel fördert ungewollt ihren Missbrauch, weil ihre Unbestimmtheit in konkreten Lebensfragen nichts dazu beitragen kann, das “richtige” christliche Leben zu normieren. Wenn ein evangelikaler Glaubensfunktionär das “Reich Gottes” in die Praxis umzusetzen versucht, weil er die Bibel mit der UN-Charta verwechselt, stellt er das Evangelium radikal auf den Kopf. Aber schon ein Kirchenbazar ist sicher nicht das, was Jesus gewollt hat. Er wollte das Reich Gottes anpreisen, nicht Socken verkaufen. Kein Christ - und sei er noch so harmlos und lieb - kommt darum herum, seinem Herrn und Meister ans Schienbein zu treten. Insgeheim sind sich viele Christen im klaren darüber, dass ihre Religion eine utopische Angelegenheit ist, nichts für diese Welt. Und eben deshalb können sie unter Berufung auf Jesus keine weltlichen Ziele verfolgen, ohne sich als fragwürdig zu demaskieren. Vollends fragwürdig wird das Christentum, wo es zur Macht greift; dort vergreift es sich an seinem revolutionärsten Anspruch. Dank diesem Bewusstsein ist das Christentum nie eine Politreligion geworden - oder nur teilweise und mit schlechtem Gewissen. Und dieses schlechte Gewissen ist in der christlichen Kultur tief verankert: was natürlich nicht heisst, dass die Christen in der Verteidigung und Verbreitung ihres Glaubens jemals auf Gräueltaten und Machtansprüche verzichtet hätten. Im Gegenteil. Blicken wir ins Mittelalter und vor allem auch in die von Konfessionskriegen erschütterte Neuzeit zurück, sehen wir im Christentum eine gigantische Disziplinierungsanstalt mit Folterkammern und Standgerichten. Ein Eindruck, der keineswegs täuscht. Doch schon damals haben die Menschen ein Bewusstsein davon gehabt, dass hier eine Verfehlung vorliegt. In Dantes Hölle steckt Papst Nikolaus III. zur Strafe für seine unchristliche Machtpolitik kopfüber und mit zappelnden Beinen in einem glühenden Loch. Sogar im tiefgläubigen Mittelalter, als noch kaum jemand dem Papst zu widersprechen wagte, empfand man sehr deutlich, dass die weltliche Machtfülle im Namen Christi etwas Falsches und Verlogenes ist. Man ahnt vielleicht, worauf ich hinaus will. Der Islam kennt dieses Problem nicht. Von Anfang an ist er nichts anderes gewesen als eine politische Bewegung. Mohammed hat sich und seine Anhänger systematisch auf Macht und weltlichen Reichtum eingeschworen: er hat politisiert, intrigiert, Schlachten geführt, Diplomatie betrieben, wirtschaftliche Beziehungen geknüpft, Recht gesprochen, Hinrichtungen vollzogen, Beute gemacht, vergewaltigt, gefoltert, Haremsfreuden kultiviert, und das alles auf Gottes Geheiss. Da kann man noch so nachdrücklich auf die religiösen Elemente verweisen, auf den abrahamitischen Kontext und die mystische Hintergrundsbemalung: Mohammeds Karriere ist nicht die eines biblischen Propheten gewesen. Seinen Ambitionen lag eine völlig andere Haltung zugrunde, so wie auch seine ganze Persönlichkeit aus einem Holz geschnitzt war, das eher an Dschingis Khan oder Caligula als an Johannes den Täufer oder Jesus erinnert. Die Gewissensfrage löst sich hier von selbst. Wer für den Islam kämpft und dabei hie und da ein paar Köpfe abschlägt, braucht kein schlechtes Gewissen zu haben. Hat Mohammed etwas anderes getan?

 

2012/13