Goethe jodelt

 

Das Licht ist die Wahrheit... Die Nacht ist die Unwahrheit.

 

J.W. Goethe

 

 

 

Blunschi: Ich, Xavier Blunschi, gebürtig aus Buckten bei Basel, lege hiermit getreulich Bericht ab und verzähle euch, wie ich mit dem Herrn von Goethe jenes Reisli unternahm, über welches ich bislang aus Rücksicht auf die unmöglichen Umstände desselben habe strengstes Stillschweigen wahren müssen.

 

Mit Bisluftwolken und Sonnenschein ging’s am ersten Tag - dem Johannistag - über Laufen nach Delemont und von dort dann wie am Schnürli auf die Alpen zu.

 

Goethe: Ach... hmmm.... o ja... hmmm

 

Blunschi: Kaum von der Eheleine gelassen, fing Goethe schon an, zu glüschtelen und zu kurzweilelen. Er sah es auf die Burenmeitschis ab, das merkte ich wohl; eines grüsste er mit dreimaligem Antippen seines Huts, eine Sache, wovon er gar viel Wesens machte. Das schöne Getu ward ihm aber gründlich verhudelt und verleidet durch ein Schlagloch.

 

(Goethe hustet heftig)

 

Blunschi: Potz Heubohne, do isch meini es Däfeli in falsche Hals cho. E Chlapf uf e Rugge und use dermit.

 

Blunschi: Alsda hat es Goethe auch noch seinen schlampigen Hut vom Haupte gewindet....

 

Goethe: Anhalten!(steigt aus) Was bin ich ohne meinen Hut!

 

Blunschi: Jä, Sie sind dänk dr Herr Goethe - au ohni Hut, oder?

 

Goethe: Herr Blunschi, ich möchte Sie bitten, inskünftig mein Inkognito zu wahren....

 

Blunschi: Goethe tat dergleichen, als wäre er nicht Goethe. Er gab sich für den Bäckermeister Fridolin Göpf aus Binzen bei Basel aus, welche Namensgebung ich, beinebens gesagt, ein bisschen kurlig fand.

 

Blunschi: Obacht, Herr Göpf, do chunnt e Kutsche!

 

Blunschi: Diese Kutsche kam von den Bergen her, wo wir hinwollten, und sie hatte etwas durchaus Gespässiges. Es war nämlich exakt unsere eigene Kutsche. Und aus dem Kutschenfensterli lugte ein Mann heraus, der aussah wie Goethe, und Goethe sah es auch und war ganz verchlüpft.

 

Goethe: Oh... oh... Schnell weiter!

 

Blunschi: Und was isch mit eurem Huet?

 

Goethe: Papperlapapp!

 

Blunschi: Da chlöpfte der Kutscher mit der Geisel, und die Rössli taten das ihrige, und als wir so dahinschnützten, wurden wir gewahr, dass Staub und Laub und alles ringsherum entschwand, ein Knistern und Knastern überlief uns, ein grünliches Feuer wie von Sankt Elms! Gottsschlag und Donner, dachte ich bei mir, wir sind doch nicht öppen des Todes!

 

Goethe: Wo sind wir?

 

Blunschi: Darauf wusste nun niemand eine klügliche Antwort, auch der Kutscher nicht. Eine unerklärliche Nacht war hereingebrochen, und das wüste Geklüft der Berge erstrahlte in einem Licht, das so künstlich war wie das Fudi der Marie Antoinette.... Inmitten dieser Verwirrung gewahrten wir eine Gebäulichkeit, vor welcher wir Halt machten. Es war ein Reiseetablissement, auch Hotel genannt.

 

(Menschenmenge, Stimmengewirr)

 

Doch welche Enttäuschung! Vergeblich ersuchten wir um Auskunft, in der Eingangshalle ging es zu wie in einem Bienenstock, es umgab uns ein riesiges Gstürm. Von einer besorglichen, unaufschiebbaren Sache war die Rede, von einem Unglück und einer sich hier und jetzt formierenden Rettungsaktion. Da gab es kein Maulaffenhalten, und noch weniger ein Sichverschlüpfen und Abseitsstehen. Ungeachtet unserer Schreibstuben-Existenz befand man Goethe und mich für klettertauglich. Und so wurde die eiligst rekrutierte Rettungskolonne um zwei währschafte Mannsgöggel vervollständigt.

 

(Rettungsmannschaft rückt aus, in der Felswand)

 

Blunschi: Die verunglückte Seilschaft bestand aus einem ganzen Räbel buntbemützter Burschen. Es war dies der berüchtigte Studentenfreikorps “Alpenbund”, den wir nun samt und sonders angetreten waren aus der selberverschuldeten Chlemmi zu erretten. Von Wind und Wetter fast zu Hudeln zerschlagen, bampelten die kletterfreudigen Studiosi hoch droben am schwindlichten Fels und meinten gar, sie würden es nicht mehr lange machen. Als man sie jedoch an die Rettungsleine nahm, regte sich bei ihnen ein nicht geringer Unmut über die Hülfe, die ihnen so unverhofft zuteil, und sie täubelten wie die kleinen Gofen.

 

Stingelin: Wär sait denn, dass mir wänn grettet wärde? Villicht wän mir das jo gar nicht. He, Jungs, wie stoht’s, si mir fällig oder nit?

 

Blunschi: Dieser breitwäg Daherschwadronierende, das war der Meinrad Stingelin aus dem Fünflibertal, welcher nicht nur der lästerhaftigste Tunichtgut, Sürmelsiech und Hurengalöri war, sondern auch der Erstchargierte einer hochwohllöblichen Studentenverbindung, und als solcher im Übermasse bestrebt, mit seinen bierseligen Kumpanen sämtliche Alpengüpfe zu bezwingen.

 

Stingelin: Bim heilige Gambrinus! Möchet dir es Züüg! Söttigi wie mir stürze doch nit ab. Höggschtens bim Pokuliere!

 

(die Studenten lachen und intonieren ein traditionelles Studentenlied)

 

Das Stipendium versoffen,

 

verraucht das Gehirn.

 

Von der Jungfrau verachtet,

 

geliebt von der Dirn.

 

Aussen vergammelt

 

und innen nichts drin.

 

 

 

Doch Ehre und Treue

 

allzeit im Sinn!

 

 

 

Doch Ehre und Treue

 

allzeit im Sinn!

 

 

 

Vivat, vivat, vivat!

 

 

 

Blunschi: Dieweil es offen am Tag lag, dass die Studiosi eines sichern Geleits bedurften, um nicht auf die grossen Goschen zu fallen, war doch auch sehr viel Hirnbrunst und Tatendrang im Spiel, worüber ein heftiger Streit entbrannte.

 

Goethe: Hmmm... (murmelt, grummelt und summt vor sich hin)

 

Blunschi: Indessen hatte Goethe still und heimlich sein Steckenpferd gesattelt. Mit einer Zeckenzange - oder war’s ein Teelöffeli? - knübelte er am überreichlich vorhandenen Gestein herum. Zwischendurch schweiften seine Blicke in die Höhe, Tiefe und Weite der von Scheinwerfern angelüchteten Bergflanke, und ich tat es ihm gleich, und da sahen wir doch fürwahr den Goethe-Hut, den ein Windstoss bis über die Schneegrenze hinaus verfrachtet hatte... Doch was war das? Nicht weit darunter kräsmete ein Bergsteiger mühselig den Felsen hinan. Goethe wurde ganz gischplig, zumal es ausser Zweifel stand, dass der besagte Bergsteiger die Absicht hegte, sich des Hutes zu bemächtigen.

 

(Goethe kramt in seinen Taschen, gluckst vor sich hin)

 

Blunschi: Alsda gab mir Goethe jenes amtliche Zertifikat zu beschauen, welches den hochberühmten Goethe-Hut als echt ausweisen sollte - für den Fall einer auktionarischen Katalogisierung. Es lasse sich nämlich ein hübsches Sümmchen aus diesem lumpigen Stück Filz herausschlagen, meinte Goethe. Aus Blei gwinne man Gold... Und während er solcherweise vor sich hinsann, war der Bergsteiger schon verschwunden - und mit ihm auch der Hut. Und mit dem Hut die ganze Stange Geld, von der Goethe geglaubt hatte, sie lasse sich buchstäblich aus dem Hut zaubern.

 

Blunschi: Schliesslich war man fertig mit Dischpudieren und Umechäre, der Zank wurde beigelegt, und männiglich kehrte wohlgemut in das Hotel zurück, um sich zu laben und aufzuwärmen. Nur Goethe war unzufrieden. Allen gab er kund und zu wissen, dass er, solange da noch einer auf dem Berg zugange sei, die Rettung für halbbatzig erachte... Wenn auch diese fadenscheinige Mahnung wenig zu fruchten schien, so bewog sie doch eine gewisse Dame dazu, mit Goethe in nähere Verbindung zu treten.

 

Frau Waber: Ich bi dWaber Elsbeth vo Schöfflisdorf. Und wie isch Ihre wärte Name?

 

Goethe: Oh, angenehm... Göpf.. Öh, Göpf aus Binzen... bei Basel.

 

Frau Waber: Dä Bärgstyger, wo Sie do schyns gsichtet hän... Ich glaub, ich kenn dä vo neume.

 

Goethe: Tatsächlich? Von wo neumen?

 

Frau Waber: Si müen wüsse, dass mi Maa scho sit langer, langer Zyt in dä Bärge umechlätteret und dr lieb lang Tag nüt anders macht, als dr Bärggüsel zämmezramassiere.

 

Goethe: Wie löblich...

 

Frau Waber: Sie hän guet Rede, Sie. Ich bi das leid, mit so eim möcht ich nümm verhürotet si. Allewyl nüt als Güsel und Gingernilis, und denn goht er au no go märte dermit. Punktum! Do isch dScheidigsurchund. Är muess numme no unterschribe...

 

Goethe: Dann ist ja alles gut...

 

Frau Waber: Nei, nüt isch guet! Ich verwütsch en jo gar nit! Ständig isch er am Ummegüsle, und wenn er wider emol e Ladig vo dere Bagaschi zämme het, goht er was gisch, was hesch an dMötschtaler Mitternachtschilbi und versteckt sich hinter sim Chrömlistand.

 

Goethe: Vorzüglich, dort werden Sie ihn doch sicherlich zur Rede stellen können, Gnädigste...

 

Frau Waber: Sie sind sälber es Gnagi. Umsverworge will er die Scheidig nit! Sobald er mi gseht, haut er grad ab und schlipft mr durch dFinger wie ne Gutsch Wasser.

 

Goethe: Unbegreiflich!

 

Frau Waber: Eso chunnt die Scheidig nie zstand!

 

Blunschi: Aus edler Menschlichkeit erbot sich Goethe, in dieser verkachelten Angelegenheit den Scheidungsanwalt zu spielen. Schliesslich war’s ihm auch um seinen Hut zu tun: auf der Mötschtaler Mitternachtschilbi hoffte er denselbigen ohne viel Feilschens wieder an sich bringen zu können... Kurz hernach machten wir Bekanntschaft mit einigen Hotelgästen, welche sich im sogenannten “Conföderativen Bettschonerverein” zusammengetan hatten. Die Existenz dieses Vereins lag in der Absicht begründet, dauerhaft zu nächtigen, ohne zu schlafen, ja ohne ein einziges Bettfäserli zu berühren. Gegen Gähnsucht und Abgeschlafftheit wussten die Vereinsmitglieder allerlei zu unternehmen, sie turnten und gingen häufig auf die Walz, nächtlicherweile, versteht sich, und als ich einen von ihnen fragte, was sie denn tagsüber so täten, da schaute er mich an, als hätte ich mich in einen grusigen Schnoderbollen verwandelt. Mit den Studiosi teilten die Bettschoner eine freigesinnte Bergbegeisterung. Das Losungswort “den Stutz hinauf mit starkem Schnauf” war bald in aller Munde, und so gedachte man gemeinsam den kühnlichen Versuch zu wagen, einem gächstotzigen Viertausender das Schwyzerfähnli aufzupflanzen.

 

Stingelin: Jä, mini Herre, fertig mit ummehöckle. Sit er derby? Jetzt göi mr zBärg!

 

Blunschi: Dem Goethe genügelte es so langsam, und mir ging es tupfgenau gleich, auf ein söttiges Abenteuer konnten wir beide getrost verzichten.

 

Stingelin: Aber, aber... Täppelet do öppe es Hasepfötli im Angschtchämmerli umenand?

 

(Die Studenten lachen und kichern)

 

Blunschi: Da Goethe den sträflichen Leichtsinn nur allzuleicht erkannte, welcher aus diesen Worten sprach, verfiel er auf eine List, welche dazu dienen sollte, den Uneinsichtigen eine Wohltat zu erweisen. Gegen die Unvernunft kann man oft nicht anders vorgehen, als indem man sie hinters Licht führt. Schon mein Grossätti hat es immer gesagt: manchmal muss man eben von blauen Enten und Hühnermilch predigen, damit man Gehör findet.

 

Goethe: Was, nur viertausend Meter... Da ist ja der Schlittelhügel von Binzen noch höher! Warum besteigen wir nicht den Vierdreifünfteltausender?

 

Blunschi: Dodermit hatte Goethe das ganze Pack im Sack. Das meinte nämlich wunder was es da anstellen könnte und begehrte nun tatsächlich nichts anderes mehr, als den Vierdreifünteltausender zu bodigen. Goethe tat so, als würde er diesem Wunsche willfahren, und erklärte sich zum Schein dazu bereit, die Besteigung bis zum gedeihlichsten Ende anzuführen. Jedoch in Wahrheit trug sich Goethe schon längst mit der Absicht, die Mötschtaler Mitternachtschilbi zu besuchen, wovon er aber niemandem auch nur ein Stärbenswörtchen verriet - ausser dem Kutscher, Frau Waber und mir. Uns Eingeweihten war schon klar, wohin die Reise ging, dieweil die Studiosi und die Bettschoner sich im guten Glauben wiegten, man rössle nirgendwoandershin als zum Vierdreifünfteltausender...

 

Blunschi: Frau Waber, welche die Gegend recht gut kannte, gab dem Kutscher die nötigen Anweisungen, und bald schon gelangten wir - nein, nicht zur Mitternachtschilbi, der Weg dorthin war noch lang; aber es schien uns doch angebracht, die Eile ein bisschen zu zügeln und auch mal ein Päuseli zu machen. Dafür kam uns das Kurbad Dännlisalp wie gerufen. In beliebig verstellbaren Gesundheitsliegestühlen genossen wir auf der Aussichtsterrasse den Mondschein, dazu lütterten wir das hauseigene Mineralwasser, welches mit grossen Sulzer-Bohrlochpumpen aus dem felsigen Untergrund heraufbefördert wurde.

 

Goethe: Ach, Blunschi, jetzt wandelt mich doch irgendwie die Lust an, ein bisschen zu musizieren...

 

Blunschi: Goethe alias Göpf hatte eine Fidel dabei, die Kreuzfidel, wie er sie nannte, auf welcher er sogleich aufs schönste zu kratzen anfing... Schön daneben ist auch schön, und überhaupt ist so ein Mödeli gar nicht zu verachten. Immerhin verschaffte sich Goethe mit seinem Gefiedel eine hohe Glaubwürdigkeit, denn so dilettantisch konnte nur ein Bäckermeister musifizieren.

 

(Goethe hört auf zu spielen, als Klavierspiel ertönt)

 

Goethe: Hören Sie das, Blunschi?

 

Blunschi: Hä? Was? (Entfernt seine Ohrenstöpsel)

 

Blunschi: Als ich meine Latwergen-Ohrenstöpsel entfernt hatte, hörte ich es auch. Von weit unten drang ein Klirimpieren zu uns herauf, welches uns augenblicks in die heftigste Bereitschaft versetzte, dem dazugehörigen Pianisten ein Kränzli der allergrössten Bewunderung zu winden. Wunderfitzig geworden, stiegen wir stägeliab - und nochmals stägeliab - und nochmals stägeliab. Ja, Heiterefahne, das hörte ja fast nicht mehr auf! Und auf jedem Stockwerk durchquerten wir etwelche Spezialbäder und bekamen eine ganze Reihe der gesundheitsförderlichsten Merkwürdigkeiten zu Gesicht. Als da waren:

 

eine Huminsäureanreicherungsanlage

 

eine Chlorküche

 

ein Balbierstüblein

 

eine Fussschweisskäserei

 

ein Grottenolmenvivarium

 

einen Solbadsudkessel

 

einen elektrischen Massagesessel

 

ein Dampfbadkabinett

 

einen Radonbadstollen

 

eine Schönheitszentrifuge

 

ein Barfusslaufband

 

eine Abhärtungskammer

 

und ein Wassertretrad.

 

Je weiter durab wir kamen, desto mehr wurde mit Wasser gegeudet.

 

(Kinderstimmen, Gekreisch, Lachen)

 

Blunschi: Hoppla, da war meini etwas los! Was da mit zappligem Leben erfüllt war, war nichts anderes als ein Jungbrunnen, originalpatentiert und ohne chemische Zusätze. Über die Beschaffenheit dieser anscheinend gut gewarteten Einrichtung gab uns eine Hinweistafel den trefflichsten Aufschluss. Selbstverstürlich enthielt die Hinweistafel auch den Hinweis, dass Wasser nass macht... Ein Jungbrunnen! So öppis! Nur zu gerne hätte ich dessen Wirkung am eigenen Leibe ausprobiert. Die Lebensuhr zurückstellen! Noch einmal als Höslifurzer herumstürmen und allewyl numme Chünggelimischt im Grind ha, das wär’s!

 

Nietlisbach: (schwimmt heran, klettert aus dem Wasser) Springet do jo nit dry! Lueget eus emol a! Mir sin nit z’benyde!

 

Blunschi: Der da sprach, das war der Alfons Nietlisbach, ein gewesener Schaltanlagenmonteur, welcher durch sein unmässiges Bädelen im Verjüngungswasser auf die Grösse eines neunjährigen Bübleins zusammengeschrumpft war. Es war ihm anscheinend vögeliwohl in seiner neuen Gestalt, kein Wehwehli plagte ihn, aber hinkünftig immer ein Myggerli bleiben zu müssen, schien ihm dann doch ein bisschen zuviel des Guten. Der arme Alfönsli. Das war bös gegangen in seinem Fall - und in jedem derartigen Fall. Alle, welche mit dem Alfönsli zusammen im aufgeguselten Wasser die neugewonnene Lebenszeit verdudelten, hielten es für weislich, im Kurhotel zu bleiben, ihre Lebensuhr stand nämlich still. Da sich das solcherart erwirkte Jungsein nicht rückgängig machen liess, waren die Kurhotelkinder für’s Wärche und Schaffe so gut wie verloren und waren am besten dran, wenn sie den Aufenthaltsstatus von schonungsbedürftigen Sönderlingen beanspruchten.

 

Blunschi: Jä säg emol Alfönsli - ich döff doch sicher du zu dir sage - wird’s dir eigentlig nie langwylig?

 

Nietlisbach: Mängisch scho. Mit Ummepflättere und Ummegeutsche allei chönnt i mi moralisch nit über Wasser halte!

 

Blunschi: Um nicht zu versimpeln, hatte sich der Alfönsli einen Posten als Hausbibliothekarius ergattert. Seitdem vertiefte er sich lesend in das dusterheimlige Leben der Nachtheuel, der Schabernäckli, der Galgelööritierli, der Gibeligeister, der Ummedüsseler, der Allerweltsriesen und der Wald- und Wiesenzwärgli. Für den Alfönsli war dieses abhölzige Gschmeus so würklig wie prägleti Härdöpfel. Insbesondere kam er auf den Schlafriesen zu sprechen, welcher dem Bekunden nach eine Art und Gattung hatte, dass es einem ganz schmuuch wurde davon. In hiesiger Gegend vernahm man oft sein schröckliches Schnarchen. Alfönsli hegte den nicht unbegründeten Verdacht, der Schlafriese habe eine Ronchopathie, eine Atemstörung auf gut Deutsch, welche den Schlaf ganz flach mache und zum Er-sticken eng. Dodergegen glaubte Alfönsli ein Mitteli gefunden zu haben. Sobald der Riese sich anschickte, seine Rugeli und Chnebel abenand zu sägen, rückten die Churbadkinder allesamt aus und machten mit ihren Stimmchen ein Kunststückli, welches den Oberpfuser und Holzzersäger in einen schnarchlosen Tiefschlaf versetzte.

 

Nietlisbach: Loset emol. (Singt die Tonleiter, ohne Stimmbruch)

 

Blunschi: Goethe fand manchen Grund, dies alles mit grossem Interesse in sich aufzunehmen.

 

Goethe: Hmmm... Sie haben ja keinen Stimmbruch. Übrigens, der Schlafriese ist womöglich ein Verwandter von mir. Ich schlafe nämlich auch sehr viel, mindestens 10 Stunden pro Nacht.

 

(Erneut erklingt Klaviermusik)

 

Blunschi: Da war es wieder, dieses Klirimpieren, und diesmal so nah, dass uns schier die Ohren sprätzelten. Der Alfons Nietlisbach wusste auch nicht, wer da spielte, und so gingen wir denn gemeinsam nachschauen, um dieses Geheimnis zu ergründen. Im schöngeistigen Salon, den wir wenig später erwartungsvoll betraten, sass doch tatsächlich einer von uns am Klavier. Es war der Oberstudiosus Meinrad Stingelin! Ausgerechnet der! Mit ganzen Hampfeln voll Fingerbeeri malträtierte er die Klaviertasten und stapelte die Akkorde und Läufe nur so aufeinander. Doch als er uns sah, verheite das schöne Spiel wie ein Kartenhäuschen.

 

Stingelin: (springt auf) Merde pour la musique!

 

Blunschi: Potz wüeschti Wuche! Da wurden wir abgefertigt wie die letzten Tscholi. Vom Stingelin war mitnichten eine Dreingabe zu erhalten, der schien ganz darnach aus zu sein, sein Talent zu verleugnen. Bald schon rückte die ganze Reisegesellschaft nach, man leutschte zwischen den Blumenvasen herum, tubakte ein bisschen und sah durchs Panoramafenster in die stockfinschtere Nacht hinaus. Wolken hatten den Mond verschlungen. Man sah nichts beim Hinausschauen - hörte jedoch allerlei, namentlich ein Gepolter aus der Höhe, welches dem Vernehmen nach vom Dännlisalper Hängegletscher herrührte: bei dem schlipften die Eisbröcken nur so obenaben.

 

Stingelin: Das isch Musig! Und do, uf mim Revers, sind d’Note derzue...

 

Blunschi: Der Stingelin Meinrad plagierte wieder einmal mit seinen zahlreichen Alpenabzeichen. Er war halt der Weltmeister im Hochhinauswollen... Unter den Studiosi kam indessen einiges in Anregung und wurde eifrigst verhandelt. Die Weiterreise litt keinen Aufschub. Die entscheidende Unternehmung - die Besteigung des Vierdreifünfteltausenders - musste nun endlich bereitet und in Angriff genommen werden. Manch einer dieser Möchtegern-Bergsteiger war fast am Verzwatzeln.

 

Kutscher: Hochgmögige Damen und Herren! Die Vorspannrösser sind parat. Es kann weitergehen!

 

Blunschi: Also sprach der Kutscher und drängte uns zum Aufbruch... Doch so hurtig ging die Weiterreise nicht vonstatten. Es fehlte nämlich einer. Goethe hatte sich davongestohlen, der Gugger wusste wohin. Da mir Goethes Vorlieben nicht ganz unbekannt waren, verfügte ich mich schnurstracks in die Hotelbibliothek, wo ich ihn denn auch antraf. Potz Heiterefahne! Was war denn mit dem los? Goethe chrampfte sich wahrhaft einen ab! Alle Bücher, welche seines Bedünkens schlecht oder mittelmässig waren, fugte er nach draussen und nagelte sie im Hotelgarten an die Bäume. Er chlopfte wie ein Specht: der Herr Goethe mit seinem Hämmerchen! Dem ehrenamtlich amtierenden Hotelbibliothekarius Alfönsli passte das gar nicht: der wurde stärnsverruckt. Wie ein rumpelsuriger kleiner Düfel gumpte er um Goethe herum und hängte ihm alle Schlötterlig an. Allein, er kam nicht weit damit, denn Goethe führte das unwiderlegbarste Argument ins Feld.

 

Goethe: Es ist nötig, wissen Sie...

 

Blunschi: Der Alfönsli war ja nicht gerade der Dümmsten einer. Der konnte sich seine Sache sehr wohl denken, zumal sich Goethe keineswegs scheute, auch den Kleist und den Hölderlin an die Bäume zu nageln - und die ganze romantische Schwindsuchtliteratur mit dazu. Am Ende blieben nur noch Schiller, Goethe und Walter Scott übrig.

 

Nietlisbach: Nit wohr, Dir chömmet gar nit us Binze. Und Dir heisset au nit Göpf. Und Bäckermeischter - von wegen. Jo, dann rede ich doch mal Hochdeutsch. Die von mir zusammgentragenen Indizien bestimmen mich fast zu der Ansicht, dass Sie Goethe sind - ebenderselbe, von dem ich schon viel gelesen habe.

 

Goethe: Nun gut, ich gebe es zu. Es ist ja schliesslich keine Schande. Es gibt Schlimmeres, als Goethe zu sein. Zum Beispiel, nicht Goethe zu sein.

 

Blunschi: Der Alfönsli war ganz aus dem Häuschen. Die Gewogenheit des deutschen Ministerialwörtlimachers war ihm dann schon etwas wert.

 

Nietlisbach: Ei was, Sie sind tatsächlich der Herr Goethe? Der grosse Goethe aus Weimar? Jetzt, wo Sie’s sagen, hat sich in mir drinnen die anfängliche Vermutung zur Gewissheit verdichtet. Ja, sie ähneln sich sogar ein bisschen... Wissen Sie, Herr Goethe, wenn ich das so direkt sagen darf: ich finde Ihre Theaterstücke einfach saugut. Huereguet. Vor allem den Wilhelm Tell.

 

Blunschi: Das war nun freilich ein Schuss in den Ofen gewesen. Goethe liess sich nicht viel anmerken, die Veranlassung zu einer beleidigten Widerrede war ihm dann doch zu gering. Der Alfönsli meinte es ja nur gut, und nichts lag ihm näher, als Goethe und mich in das geheime Bücherkabinett eintreten zu lassen, worinnen die gesammelten Werke des Paracelsus aufbewahrt wurden.

 

Nietlisbach: Willkommen im Allerheiligsten meiner bescheidenen Bibliothek!

 

Goethe: (vor sich hinmurmelnd) Paracelsus, Paracelsus, Paracelsus, hmmm... Scheint Ihr Lieblingsautor zu sein.

 

Nietlisbach: Nehmt es nicht für ungut, Herr Goethe, aber lesen tu ich ihn nicht. Schauen Sie mal...

 

(Nietlisbach öffnet einen ausgehöhlten Paracelsus-Band. Darin befindet sich eine Ampulle mit Kräuterschnaps)

 

Blunschi: Was er damit meinte, sahen wir gleich darauf mit nicht geringem Erstaunen. Der Alfönsli öffnete einen der Paracelsischen Folianten und entnahm demselben eine Schnapsguttere: die war gutschvoll und durchsichtig wie ein Bergbach im Frühling.

 

Goethe: Ah, eine vorzügliche Medizin...

 

Nietlisbach: Nehmen Sie, nehmen Sie. Nur nicht so schüch! Es ist auch für die Gesunden gut!

 

Goethe: (trinkt) Hmmmm. Da Blunschi, jetzt sind Sie an der Reihe. (Rülpst)

 

Blunschi: Beim Schnäpseln kam der Alfönsli mit etwas hintenfüren, das uns anderweitig wahrscheinlich gar nie kundgeworden wäre.

 

Nietlisbach: Dem Paracelsus habe ich nicht umsüscht ein Ehrenplätzchen zugewiesen. Wie gemeiniglich bekannt, ist der überaus wohlbeleibte Medicus und Huusmittelimagischter anno 1538 unter ziemlich struben und strudligen Umständen ums Leben und zu Tode gekommen: manche sagen, er sei eine Kellerstiege hinabgestürchelt, andere munkeln etwas von einer Wirtshausschlägerei. Und dann gibt es auch noch Gerüchte, er sei gemeuchelt worden, weil er sich zeitlebens mit den Giftlimischern aus der Apothekerzunft angelegt habe. Die Wahrheit ist jedoch, dass Paracelsus immer wieder an oberkurligen Sachen herumgebäschelt hat und infolge eines verpatzten Zaubers durch ein Wurmloch in dieses nächtliche Universum hineinkatapultiert worden ist! Genau wie Sie, Herr Goethe, und Sie, Herr Blunschi, hat er sich unfreiwillig vom Tageslicht verabschiedet. Bei uns ist nämlich immer stockfinschteri Nacht, das werden Sie wohl auch schon gemerkt haben. Paracelsus hat sich leidlich gut damit arrangiert. Er möchte gar nicht mehr zurück, obwohl er unsere Nachtwelt ohne viel Mühe verlassen könnte, wenn er wollte, verfügt er doch über den entsprechenden Übertrittszauber, den sogenannten Linus Lumbus Laudarum. Aber nein, dem Paracelsus erscheint sein Hiersein auskömmlich genug, und niemand von uns Hiesigen neidet ihm den Erfolg. Sie aber, Herr Goethe, der Sie über Farben und Licht so viel referiert haben, dass man Sie ja recht eigentlich als Augenmensch und Apolliniker bezeichnen muss, ich möchte wetten, dass Sie das Sonnenlicht vermissen. Ihres Bleibens ist hier nicht, das sehe ich wohl. Drum schenk ich Ihnen klaren Wein ein, reibe Ihnen meinen besten Chümi unter die Nase und sage dütsch und dütlich, was die Mäuse pfeifen, wenn die gäle Rüebli ins Chrutt schiesse. Gehen Sie zu Paracelsus, Herr Goethe, gehen Sie ungescheut zu ihm hin, wenn Sie Rat und Ausweg finden wollen; - aber versprechen Sie sich nicht zuviel. Paracelsus ist überall und auch nirgends. Manchmal geht er mit seinen Pillen und Pülverli hausieren, und manchmal reitet er auf einem Gämsbock über die Almtriften, um die Sennen zu erschrecken. Man kann ihm fast nur zufällig begegnen, im Geduldsgärtli sozusagen.

 

Goethe: (seufzt) Dann muss ich mich wohl auf mein Glück verlassen - wie so oft.

 

Blunschi: Der Alfönsli hatte auch schon das entsprechende Trostpflästerli parat: indem er einen weiteren Folianten aufklappte, brachte er ein Büchsli zum Fürschein, welches unter dem nur lose sitzenden Deckel eine ungemein zähe, stark riechende Paste enthielt.

 

Nietslisbach: Dasch für Sie, Herr Goethe. Es Gschänkli vo mir. Kei Angscht, es isch kei Wageschmiri. Es isch öppis vil Nützlichers. Es isch e Salbi us Steibockhode, es Gsichtsrelaxiermittel us der Paracelsische Medizinalchuchi. We me sich die Salbi ins Gsicht strycht, cha me frohen Mutes go gärtle und go fänschterle. Alli Mädelis falle eim nullkommanüt ume Hals und wärde ganz schmüselig. Ich mein jo numme, guet isch guet, aber besser isch bessser, für e Fall, dass Sie’s Platonisiere mit dr Frau von Stein amänd gar nümm so luschtig finde und mit dere fürnähme Chreeze doch no chly wän schnigglischnäggli mache im Rösslistall...

 

Blunschi: Späterhin, als wir mit der ganzen Reisegesellschaft wieder in der Kutsche sassen, fragte mich Goethe ganz im Vertrauen, was das wohl heissen mag: Schnigglischnäggli mache im Rösslistall? Da sagte ich ungefähr wahrheitsgemäss, das sei eine landesübliche Tradition und vorzüglich bei jungen Leuten sehr beliebt. Ob man denn dazu einen Sattel bräuchte, fragte mich Goethe. Zum Glück blieb mir das Antworten erspart, denn....

 

Goethe: (mit operettenhafter Freude) Die Sonne! Ha!

 

Frau Waber: Nei, Herr Göpf. Si freue sich z’früeh. Das isch numme sNachtsolarium... Grad näbezue isch denn im Fall dMötschtaler dMitternachtschilbi.

 

Blunschi: Der Stingelin Meinrad sah die Gelegenheit gekommen, wieder einmal tüchtig einen durchzugeben. So sind sie halt die Studenten: ob sie den Husten haben oder den Gluggsi, Hauptsache es läuft etwas.

 

Stingelin: Gar keine so schlechte Idee, Herr Göpf. Zuerst holen wir uns die Alpenbräune, und anschliessend geht es an den mitternächtigen Muggentanz, damit wir noch einmal kräftig auf die Pauke hauen können, bevor es ernst wird mit dem Gipfelsturm!

 

(Geräusche des Solariums: elektronisches Knistern und Summen, Trafo-Station)

 

Blunschi: Die künstliche Leibesbestrahlung verschaffte uns eine grosse Wöhli, und die Wöhli nahm sogar noch zu, als uns die Nachtsolariumsschwester usgängs noch die Zunge herausstrecken hiess, um uns ein paar Tröpfchen Laudanum zu verabreichen. Das sei gut gegen wischplige Anwandlungen, auch Nervosität genannt, sagte sie. So eine Mitternachtschilbi sei ja nicht jedermanns Sache. Tatsächlich war das fast mehr, als man vertragen konnte, zäntumme war da ein gewaltiges Spektakulieren, ein Gebängel und Jucheien, eine Lustbarkeitsorgie mit Ständen und Bahnen, mit Bändern und Fahnen, mit Scheibenschiessen, mit Kuhfladenbingo, mit Schaukämpfen des Turnveteranenvereins, mit Schiesskunststücken der Freihand-Schützengesellschaft, und danebens gab es auch ein Kotzkarussell und ein Drillhäuschen - und als ganz besondere Attraktion die Bergbordellbahn, in welche sich die Studiosi hineindrängten, als wäre sie gratis - und aus welcher sie nicht so bald wieder herauskamen... Wer dort hineinging und sich keinen Schanker holte, der machte etwas falsch.

 

Wir anderen, die wir auf harmlosere Vernügungen aus waren, tummelten uns anderswo. Doch Frau Waber gab uns bald schon zu bedenken, dass man ja nicht um des Vergnügens willen hierhergekommen war. Die Sache mit ihrem Mann war noch immer hängig. Die Scheidung musste per Unterschrift rechtsgültig vollzogen werden. Herr Waber, welcher an der Mötschtaler Mitternachtschilbi auch heuer wieder seinen Grümpel feilbot, wäre bei unserm Näherkommen gewisslich geflohen, wenn seine neunmalkluge Frau sich nicht hinter dem baumlangen Goethe versteckt hätte. So aber gelang es ihr, sich an den Scheidungsunwilligen heranzupirschen, welcher viel zu spät den Pfeffer schmöckte...

 

Frau Waber: Han i di ändlich! Wenn de nit sofort unterschribsch, denn wirsch mi nie meh los! Hesch verstande! Nie meh!

 

Herr Waber: Mach doch, was de wötsch, du dummi Gugummere.

 

Blunschi: Eso speuzte jedes dem andern ins Bätbüechli ine. Als Schlichtungsinstanz versagte Goethe kläglich. Es gelang ihm weder zu schlichten noch zu scheiden, er war halt Goethe und nicht König Salomon. Wenn mit den beiden Eheleuten auch Hopfen und Malz verloren schien, so besann er sich doch auf seine eigene Angelegenheit und gab sich endlich einen Schupf, um Herrn Waber nach dem entschwundenen Goethe-Hut zu fragen.

 

Herr Waber: Ja, natürlich! So eine Filzbeule, gället Si... Die hab ich vor wenigen Stunden verkauft. An ein Fräulein.

 

Goethe: Könnten Sie es vielleicht beschreiben?

 

Herr Waber: Das Fräulein? Nun, halt ein Fräulein. Vergleichsmässig jung und hübsch...

 

Frau Waber: Was söll das heisse: vergleichsmässig?

 

Herr Waber: Jetzt unterbrich mi doch nit immer! Also, das vergleichsmässig doch sehr junge, hübsche und ausserordentlich liebreizende Fräulein het dä Huet unbedingt bruucht - und zwar für e Maskeball. Sie het gsait, sie wölli sich als Goethe verchleide.

 

Goethe: Nicht doch! Du meine Güte!

 

Blunschi: Hierüber war nun Goethe wenig erbaut. Er fühlte sich sogar regelrächt bedüpft. Als Goethe durfte sich nur einer verkleiden, und das war Goethe selber. Denn niemand konnte so gut Goethe sein wie Goethe. Und überdies war sein Hut sein allerkostbarstes Gut. Das Vorrecht, diesen Hut zu tragen, lag nicht zuletzt im Familiennamen begründet, denn die Goethes stammten in direkter Linie von den Goten ab, und die Goten hatten die allergrössten und allerprächtigsten Hüte getragen, die sogenannten Gotenhüte. Diese lang zurückreichende Familientradition nötete Goethe zu einer Wertschätzung seines Hutes, welche ihn von Pontius zu Pilatus trieb. Unter der ausdrücklichen Bedingung, dass Frau Waber - ich zitiere: “diese dumme Schachtel” - endlich Ruhe gebe, erklärte sich Herr Waber dazu bereit, bei der Aufstöberung und Identifizierung der fraglichen Hutkäuferin mitzuhelfen. Zwischen den verkrachten Eheleuten einen wenn auch nur zweckdienlichen Frieden zu stiften, war freilich ein Wasserholen mit dem Siebli. Goethe sprach der Frau Waber ebenso eindringlich wie sanft ins Gewissen: sie solle sich in Zukunft ein wenig zurückhalten, denn das habe doch gar keine Art und Gattung, wie sie mit ihrem Mann umgehe. Frau Waber sah das blitzartig ein; wenn sie die Scheidung doch noch durchsetzen wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Göttergatten mit Liebenswürdigkeiten zu zermürben.

 

Kutscher: Hü!Hü! (Pferdegetrappel, Gerumpel der Kutsche)

 

Blunschi: Beim Weiterfahren sassen Herr und Frau Waber friedlich und schweigsam nebeneinander. Nicht gerade blümelig gestimmt, aber doch so, dass sie sich nicht in die Haare gerieten. Goethe war soweit ganz zufrieden mit sich. Das hatte er gut eingefädelt! Die neue Zielbestimmung überliess er freilich dem Kutscher, welcher sie seinerseits seinen Rössern überliess. Goethe hoffte auf einen günschtigen Zufall.

 

Goethe: Reisen wir blind, mein lieber Blunschi, so leitet uns bestimmt ein treffliches Geschick...

 

Blunschi:... sagte er, welches Sätzchen ich sogleich notierte, um es der Nachwelt zu erhalten.

 

Unser Kutschierweg wurde alsbald von einem recht breiten und nicht allzu lebhaften Wasserlauf abgeschnitten, es mochte der Oberrhein sein oder die Oberrhone, das war ja eigentlich Hans was Heiri. Was uns hingegen ernstlich werweisen liess, war die Frage nach der Brücke. Die fehlte nämlich beinahe zur Gänze. Beim letztjährigen Instruktionskurs des Pontonier-Sprengverbandes sei sie völlig demoliert worden, berichteten uns die Einheimischen, man habe einen brandneuen Sprengstoff ausprobiert, und der Erfolg sei derart durchschlagend gewesen, dass man die Brücke sozusagen als nicht mehr existent ansehen könne. Was nun? Zum Glück war das Wasser mehr als faustdick zugefroren, sodass wir uns im Vertrauen auf die Kälte, Sankt Christophorus und Gottes Schirmherrschaft auf die blanke Fläche des Eises begaben...

 

(Es kracht, die Kutsche bricht ein)

 

Blunschi: Potz wüeschti Wuche! Das neunmal verflixte Eis war von sträflicher Nachgiebigkeit! Die Kutsche gheite mitsamt ihrem Rossgespann ins Wasser und schaukelte - zum Glück ohne vollzulaufen - wie eine Nussschale darin herum, und die Rössli begannen pflichtschuldigst zu strampeln und zu schwadern und zogen das Gefährt mit sich fort - und nicht etwa ans andere Ufer, sondern flussobsi, den Längsweg durchs Eis hindurch, welches sie mit ihren starken Leibern auseinanderbrachen.... Wer wohl sitzt, der rücke nicht, sagten wir uns. Die ungewohnte Flussfahrt behagte uns all wie mehr, und dann erhielten wir auf einmal Gesellschaft von zwei Eiskunstläufern, welche sich ein Vergnügen daraus machten, mit meterlangen Sprüngen um uns herumzutanzen. Es waren ein Männli und ein Wybli, wohlgestaltet wie aus einem Bilderbüchli, welches von den Eingeborenen des Gartens Eden handelt. Aufgrund der anmutsvollen Schwunghaftigkeit, mit welcher die beiden das Eis wetzten, war das Vergnügen auch unsererseits nicht ganz unbeträchtlich. Besonders Goethe verlustierte sich schampar an diesem Tanzpaar und kramte sogar sein Schreibpapier hervor: anscheinend fühlte er sich gerade zu einem Gedichtli aufgelegt. Als er dann aber sein Gekrakel durchlas, schüttelte er bedenklich den Kopf, zerkrügelte das Papier unwirsch zu einer Kugel und schaffte sich diese auf die kommodeste Art aus den Augen, - was er freilich besser unterlassen hätte: die Papierkugel geriet dem Tanzpärli nämlich unter die Kuven und verursachte einen wahren Saubätsch. Das Männli und das Wybli purzelten wild durcheinander, es schnätzelte sie voll auf die Goschen. Als er sah, was er angerichtet, sprang Goethe natürlich sofort aus der Kutsche, um den beiden aufzuhelfen. Sie waren glimpflich gestürzt, den sieben heiligen Schienbeinschützern sei Dank! Als samaritanische Hilfeleistung genügte ein Exgüsi. Die Tänzerin - ein richtiges Zapfenlockenfräulein - erwies sich als äusserst gmögig und adrett und nannte uns sogleich ihren Namen: Lia Löbeli. Dazu drehte sie ihren rotsamtenen Damenhut dreimal in der Luft herum, als wollte sie ein extrafeines Batzenbrötli draus hervorzaubern. Mit ihrem Tanzpartner - dem unter den Alpinern recht bekannten Gesichtsgymnastiker Schönenwerd - hatten wir freilich weniger Glück. Der hatte sich Goethes Papierkugel geschnappt und machte Anstalten, das fragwürdige Geschreibsel zu offenbaren.

 

Schönenwerd: Döf ich villicht churz um Ufmerksamkeit bitte! Es isch es Gedicht...

 

 

 

Dunkel war’s, der Mond schien helle,

 

schneebedeckt die grüne Flur,

 

als ein Wagen blitzesschnelle

 

langsam um die Ecke fuhr.

 

Drinnen sassen stehend Leute,

 

schweigend ins Gespräch vertieft,

 

als ein totgeschoss’ner Hase

 

auf der Sandbank Schlittschuh lief.

 

 

 

(Gelächter)

 

Schönenwerd: (zu Goethe) Hän Sie das gschribe?

 

Goethe: Könnte man so sagen, in der Tat. Sie gestatten, dass ich aus meiner Unbekanntheit hervortrete. Göpf ist mein Name, wohnhaft in Binzen bei Basel... Ich bin Bäcker von Beruf... Bäckermeister, wohlverstanden.

 

Schönenwerd: Dann wird es höchste Zeit, dass Sie wieder ihre Brötchen backen.

 

Lia Löbeli: Jetzt due doch nit eso. Du hesch au gar kei Sinn für Poesie!

 

Schönenwerd: Poesie? Die Värsli sind doch in Schnee inebrünzlet... Der Mond schien mir helle auf die Gelle, söll das öppe poetisch si?

 

Lia Löbeli: Und das sait usgrächnet dr gröschti Holzchopf!

 

Blunschi: Das liess der Schönenwerd nicht auf sich sitzen, das mit dem Holzchopf. Tief in ihm drin flatterte etwas herum wie ein Furz in einer Laterne, und es kann sein, dass irgendein Teufel vom Rumpelstulzel ihm ins Oberstübli hineingeschissen hat, der Bursche wurde ganz anderscht, und auf einmal verabreichte er Lia Löbeli einen mordsmörderligen Schubs, welcher sie ärschlings zu Fall brachte, woraufhin Goethe sich ernsthaft genötet sah, den Anstandsregeln Nachachtung zu verschaffen, indem er den Grobian am Halsdüechli päckelte und ein bisschen dureschüttelte - nicht anders, als es weiland der Joggeli mit seinem Birnenbäumchen getan hatte. Freilich war das nun das Fälscheste, was Goethe tun konnte, denn der Schönenwerd hatte sich gar nicht dafür, eine solche Behandlungsweise unerwidert zu lassen, sondern chläpfte dem Herrn Goethe eins an die Gamelle, dass dieser das Feuer im Elsass zu erblicken glaubte. Und das war erst die Ouvertüre, denn jetzt wurde auf beiden Seiten drauflosgeschlägelt, dass es eine Freude war.

 

(Dumpfe Schläge wie in einem Bud-Spencer-Film)

 

Blunschi: Wie ein jeder, welcher dieses Kämpfli mitverfolgte, unschwer erkennen konnte, war die Kraft des Zulangens ungleich verteilt. Goethe verbrätschte seinen Gegner derart heftig, dass dieser ernsthaft zu wanken begann, und als der Dichterfürscht schon drauf und dran war, den andern nicht mehr einfach nur abzuschlagen, sondern ihn auch noch ungespitzt in den Boden zu rammen, riss man die beiden Streithähne eiligst voneinander los. Allerdings war damit der Streit noch lange nicht beigelegt, denn der Schönenwerd hatte das Kriegsbeili erst efang zugeschliffen und verlangte nun offiziell Satisfaction, (ausgesprochen: Satisfaktion) indem er Goethe zu einem Gesichtsgymnastik-Duell herausforderte. Dem Meister aus Weimar blieb nichts anderes übrig, als dem Ehrenhändel Genüge zu tun, wiewohl er sich in Sachen Gesichtsgymnastik noch nie besonders hervorgetan hatte. Andererseits gab es ja eigentlich nichts, was Goethe nicht konnte.

 

Bald darauf butschten wir gegen das Ufer, und die Rössli kämpften sich an Land. In Sichtweite befand sich die Talstation Rütti. Von hier aus brach all Halbstund ein ebenso schnuggliges wie schnütziges Bähnli zu einer Alpenrundfahrt auf. Wieso also noch weiter Kutsche fahren? Mit Chueche cha me Brot spare. Die Kutsche wurde in den Güterwagen verladen, und wir, die Passagiere, verteilten uns auf die kleinen mit Holzsitzen ausgestatteten Waggons... Auf das Duell plangte niemand so sehr wie die mitreisenden Studiosi. Die waren halt aus einer schlagenden Verbindungen und sahen dergleichen Hahnenkämpfli für selbstverständlich an. Kaum hatten sie ihre hölzigen Plätze eingenommen, eröffneten sie ein fahrendes Wettbüro und rekapitulierten beflissen das Duellierreglement. Jeder der beiden Duellanten musste eine Viertelstunde lang mit Lia Löbeli herumschätzelen, und zwar ohne einen Mucks oder Pieps von sich zu geben, wobei es für die Kontrahenten unerlässlich war, das ganze Gewicht des Scharmierens und Karessierens auf den Gebrauch der Gesichtsmuskulatur zu legen. Wer es däwäg schnäller schaffte, das angeschätzelte Fräulein zum Seufzen zu bringen, der entschied das Duell für sich und durfte den Verlierer aus dem fahrenden Zug beordern. Der Stingelin Meinrad mochte ein Bascholi und Hurengalöri sein, aber in derlei Zweikämpfli kannte der sich aus wie kein zweiter.

 

Stingelin: Bimene Unentschiede, mine Herre, müen sie beedi zämme, in corpore, us em fahrende Zug gumpe, numme damit i das au no gsait ha. Und wenn die Herre no ne Sekundant wänn wähle, bitte, jetzt wer dGlägeheit derzue...

 

Schönenwerd: Ich cha mi sälber sekundiere!

 

Goethe: Herr Blunschi, hätten Sie vielleicht die Güte...

 

Blunschi: Goethe, welcher mit Worten für gewöhnlich jede Milch dick und jede Frau schwach machen konnte, wenn nicht sogar umgekehrt, fühlte sich bei einem wortlosen Karessieren dem Gesichtsgymnastiker gegenüber ein weneli im Nachteil und war froh, dass er die Steinbockhoden-Salbe mit dabei hatte, welche ihm nun einen unverzichtbaren Dienst erwies. Ein reg- und bewegsames Gesicht ist beim Flattieren schon die halbe Miete... Als das Bähnli um den ersten Rank ging, machte sich der Gesichtsgymnastiker sogleich daran, Lia Löbeli nach allen Regeln des wortlosen Flattierens zu betören. Nach kaum fünf Minuten entrang sich ihr ein unwillkürliches Seufzen.

 

Lia Löbeli: Ahhh...

 

Blunschi: Jetzt war Goethe dran. Vielleicht verliess er sich allzu sehr auf die Steinbockhoden-Salbe. Mit seinen Gesichtszuckungen rief er nicht viel mehr als ein Gigseln hervor, welches laut Duellierreglement des erotischen Gehalts entbehrte und deshalb auch nicht anerkannt wurde. Der Sieger hiess also Schönenwerd, und Goethe war Manns genug, die Niederlage ehrenhaft hinzunehmen und mit gerafften Kittelschössen aus dem Zug zu gumpen. Bevor es jedoch dazu kam, fingen die Studiosi an zu murren und zu maulen. Nicht nur, weil die meisten von ihnen auf Goethe gewettet hatten, sondern auch deshalb, weil ihnen durch den drohenden Absprung des anscheinend so bergkundigen Reisegefährten bewusst wurde, dass sie ihn ja brauchten! Jäwoll, ohne seine kundige Führung würden sie niemals zum Vierdreifünfteltausender finden. Geschweige denn auf dessen Gipfel hinauf! Also beschlossen sie einstimmig, das Duellierreglement nachträglich zu ihren eigenen Gunsten ein bisschen umzuschreiben. Nicht Goethe, sondern der Gesichtsgymnastiker Schönenwerd war derjenige, welcher das Bähnlifahren quittieren musste...

 

(Schönenwerd stösst einen langgezogenen Schrei aus)

 

Lia Löbeli: Ville Dank, Herr Göpf, das hän sie prima gmacht!

 

Goethe: Man tut, was man kann... Übrigens haben Sie da einen hübschen, äh, Hut.

 

Lia Löbeli: (wechselt auf Hochdeutsch) So hübsch nun auch wieder nicht, Herr Göpf. Ich habe die Innenseite nach aussen stülpen müssen... Die Aussenseite ist verlaust wie Affenfell.

 

Blunschi: Das war vielleicht eine kurlige Fachsimpelei, das! Und dann mischte sich auch noch der Herr Waber ein.

 

Herr Waber: Jä, grüeziwohl! Do gseht me sich wider. Dä Huet stoht Ihne guet.

 

Blunschi: Nicht anders stand es zwischen Herrn Waber und Lia Löbeli, als dass sich die beiden schon einmal begegnet waren. Jä dunnersschiess, wo denn? Hierüber blieb ich vorläufig im Ungewissen, desgleichen Goethe, denn eben als Herr Waber zu einer Erklärung ansetzen wollte, machte das Bähnli eine harsche Vollbremse.

 

(Das Schnarchen des Schlafriesen ertönt)

 

Lokführer: (Durchsage aus Lautsprechern, ein näselndes SBB-Kauderwelsch) Sehr geehrte Fahrgäschte, Mesdames et Messieurs, Ladies and Gentlemens, entschuldigen Sie die Störung, pardon de vous avoir déranger, sorry for the confusion, aufgrund einer momentanen Gleisabschnittsbeeinträchtigung - une dérangement de la penderie partisielle pour l’instant - legen wir einen kurzen Halt ein. A very short hold. Nous allons, nous allez, nous a terminez, ville Dank and have nice night alli mitenand.

 

Blunschi: Den unschönen Zwischenhalt anlangend, gab es nicht viel zu rätseln, das Schnarchen war ja deutlich genug. Ganz in der Nähe hatte sich der Schlafriese zum Pfusen niedergelegt, und da ihn die leiseste Bodenerschütterung um den wohlverdienten Schlaf bringen konnte, waren wir gar nicht so übel beraten, uns aufs Warten zu verlegen. Solange dieser Horizontalmusikus derart ungeniert in seine Basstrompone hineinblies, hing sein Schlaf an einem Sydenfädeli. Andererseits erschien Goethe die Gelegenheit wahrhaft verlockend, das Riesenunikum einmal aus der Nähe zu betrachten.

 

Goethe:(wispernd) Kommen Sie mit, Blunschi. Na los...

 

Blunschi: Dem Schlafriesen einfach so ein Bsüechli go mache? Das hatte der Goethe im Näggel und wollte es gegen alle Bedenken durenstieren. Mit einer Laterne bewaffnet, stürzte er sich in die Nacht hinaus, und ich - der ich ja als Reiseführer bestallt worden war - musste ihm wohl oder übel nachseckeln. So tat ich denn meine Pflicht, wenn auch mit schlottrigen Knien. Lange Zeit sahen und fanden wir nichts - zumindest kein Unghür... Doch plötzlich kamen wir nach Gmerkigen, und da fiel es uns wie Schuppen von den Augen. Gueti Nacht Frau Seeholzer! Mich rührte fast der Schlag. Wir waren ja schon längst droben - nämlich auf dem Riesen! Selbst im Liegen war der noch riesig! Und wir, wir waren zu Filzläusen geschrumpft. Unterhalb der riesig aufklaffenden Nasenlöcher bekamen wir einen zünftigen Luftzug zu spüren.

 

Goethe: Mich deucht, es windet...

 

Blunschi: Mich deucht es auch, Herr Goethe, eh, Herr Göpf. Aber lugen Sie mal, da sind ja die Kurbadkinder!

 

(Leiser Gesang der Kurbadkinder)

 

Blunschi: Mit kleinen Kerzlein in den Händen hatten sie sich vor dem Riesen in Stellung gebracht und huben an zu singen....

 

(Der Gesang der Kurbadkinder wird deutlicher)

 

Blunschi: Dirigieren tat niemand anderscht als der uns wohlbekannte Alfons Nietlisbach. Hejo, der Alfönsli: der konnte wahrlich noch mehr als numme Ummebädele!

 

(Gesang und Schnarchen wechseln sich ab, das Schnarchen wird leiser)

 

Blunschi: Der Gesang tat unfehlbar seine Würkung. Das Schnarchen verstummte, und zu guter Letzt verstummten auch die Kurbadkinder und zottelten wieder heimzue - dorthin, wo sie hingehörten, in ihr Kurbädli. Einzig der Alfönsli, der blieb noch ein Wyli bei uns. Mit einer Strickleiter erklomm er die Stirn des nun tief und fest schlafenden Riesenschläfers und schüttelte uns freudig die Hände.

 

Nietlisbach: So, dir zwöi. Dä do schloft jetzt meini wie nes Murmeli us Marmelstei.

 

Goethe: Verbindlichsten Dank, Herr Nietlisbach.

 

Nietlisbach: Nüd z’danke. D’Wohret isch die: ich bi nit sRettigskommitee. Dr Schlofries isch e ganz e Brave. Dä würd euch niemols öppis z’leid tue, und wenn euses Gsangsvereinli in sis Schnarchle inesingt und en quasi hypnotisiert und wie anere Seilwindi no tiefer in Schlof abeloht, denn nit öppe dorum, wil er s’einti oder anderi Menschli chönnti vertrample. Dä schloft für alli, so isch das, und dorum müen mr derzu luege, dass er au guet cha schlofe: - wenn dä nit richtig schnuuft, denn versickeret si Schlof wi Wasser im Chies, und mir alli wärde müed... Todmüed! Aber löm mr das. Ich halt euch numme uf. Dir weit jo zum Paracelsus. Also los, möchet euch uf zSogge. Wer sucht, der findet nicht, und wer nicht sucht, der hat’s emänd schon gefunden.

 

Blunschi: Nachdem wir dem verwirrlichen Gerede des Alfönsli entronnen waren, stiegen wir wieder ins Bähnli zu unseren Reisegefährten und fuhren weiter den unbekannten Alphöhen entgegen... Und wieder versuchte Herr Waber uns etwas Dringliches mitzuteilen.

 

Herr Waber: Jetzt ha ni aber doch no öppis, wo ni sött loswärde, Herr Gopf...

 

Goethe: (genervt) Göpf, mein Name ist Göpf!

 

(Geräusch einer Vollbremsung)

 

Blunschi: Gopferdori, nicht schon wieder! Das Bähnli tat keinen Wank mehr. Aber die Ursache hiervon - soviel stand fest - war nicht der Schlafriese. Es war die Frau Waber. Sie hatte den plompierten Bremsriegel gezogen. Potz Heiterefahne! Dass sie den unüberwindlichen Drang verspürte, an Ort und Stelle auszusteigen, war fast nicht zu übersehen, so wie auch die Gelegenheit nicht zu übersehen war, welche den Ausschlag dazu gegeben hatte. Ganz in der Nähe war nämlich der Seeligengupf, eine Aussichtsplattform mit einem Bergrestaurant und einem Kiosk, und Frau Waber packte die Gelegenheit am Grips und absentierte sich, um ein paar Ansichtskarten zu poschten. Jaja, die Weiber mit ihren Fisimatenten! Ummechüechle, das chönne si, aber e grade Strich vo A nach B zieh, nei, jooo nit! Derartiges sagte auch Herr Waber, welcher sich über seine Göttergattin mörderlig aufregte. Wahrscheinlich nicht zum ersten Mal. Und da er es nicht lassen konnte, ihre Angelegenheiten als seine eigenen zu betrachten, nahm er seine ganze Mannheit zusammen und rannte ihr nach, um ihr wüst zu sagen. Und es kam, wie es kommen musste. Frau Waber verbat sich jede Einmischung und watschte ihm die Scheidungsurkunde querwegs um die Ohren.

 

Frau Waber: So, so, dä Herr will mr au no dryrede. Aber unterschrybe will er nit!

 

Blunschi: Daraufhin machte Herr Waber aus der Scheidungsurkunde ein paar lustige kleine Fötzeli und streute dieselbe in alle Winde.

 

Herr Waber: Weisch no, was dr Pfarrer gsait het? Bis dass der Tod euch scheide! Etschbätsch.

 

Frau Waber: No so gärn. Näggschtens bring i di um, du Sauhung.

 

Blunschi: Goethe ermahnte die beiden aufs Bestimmteste, endlich damit aufzuhören, hielt er doch namentlich darauf, dass aller Unfriede zwischen ihnen abgetan sein soll, und um dieser seiner Meinung Nachdruck zu verleihen, lud er das Ehepärchen wie auch die ganze übrige Reisegesellschaft zu einem Mitternachtsfondue im Bergrestaurant Blumenstein ein, welche Lokalität grad näbezue am Berghang über der Aussichtsplattform zu finden war. Herr und Frau Waber liessen augenblicks voneinander ab. Die strittige Frage, ob es rechtens sei, extra den Zug anzuhalten, um ein paar lausige Postkarten zu kaufen, erschien neben der Aussicht auf ein Mitternachtsfondue kaum noch von Gewicht. Es ging jetzt um etwas Höheres, eine rezente Gaumenfreude winkte, und sowohl die Studiosi als auch die Bettschoner waren Füür und Flamme, als sie davon erfuhren. Was dieser Göpf doch nur immer für Ideen hatte! Indessen ging man gleichwohl noch schnell zum Kioskhäuschen, und Frau Waber nüelte eifrig in den Ansichtskarten herum, wohl doch in der Hoffnung, ihren Mann damit ein bisschen ärgern zu können: ganz umsonst sollte der Abstecher dann doch nicht gewesen sein.

 

Wie aber kam Goethe ins Staunen, als er am Drehständer herumfiguretelte und die vielen Ansichtskarten beschaute! Eine wie die andere zeigte nichts als die dichteste Schwärze der Lichtlosigkeit. Darauf vermochte sich Goethe überhaupt keinen Reim zu machen, und so fing er denn an zu grübeln und bekam eine fürchterlich rümpflige Stirn.

 

Goethe: Blunschi, wie kann das sein? Keine Farben, kein Licht?

 

Blunschi: Wissen Sie, Herr Göpf, in däm Dörfli, von wo ich herkomme, kennt man ein Sprüchlein, das ich mir fest hinter die Ohren geschrieben habe: wenn uf em Chilleturm früe drei Chräe hocke, so git’s Rägewätter.

 

Goethe: Aber das hat doch nichts mit diesen Karten zu tun!

 

Blunschi: Scho möglich. Aber das Sprüchli stimmt halt trotzdäm.

 

(Geräusche einer Baustelle: hämmern, schleifen, bohren etc.)

 

Blunschi: Das genannte Restaurant war im Umbau begriffen und ebendarum komplett eingerüstet, was uns freilich nicht davon abhielt, die glustige Idee von einem mitternächtigen Fondue-Plausch in die Tat umzusetzen: im Nu fanden wir ein währschaftes Plätzchen, und als wir auf Anfrage erfuhren, dass die Küche sehr wohl in der Lage sei, ein Fondue zuzubereiten, ja, wenn es sein müsste, für eine ganze Kompagnie, nahmen wir das Gehämmer und den Bauschutt in Kauf und bestellten nebst der klebrigen Hauptspeise auch gleich noch die erforderliche Menge Wein. Als dann jedes reihum sein Möckli oder Bröckli aufgespiesst und in das Fondue hineingetaucht hatte, wurde es ganz still am Tisch, und wir alle stierten in die dampfende Schmelzi, eifrig bemüht, das jeweils nach unten geschobene Möckli oder Bröckli in der allgemeinen Handhabig des Essbestecks nicht zu verlieren. Hejo, bei den vielen Gabeln, welche da unablässig im Käs’ herumrührten und herumstocherten, konnte es dann schon etwa passieren, dass jemand plötzlich sein Möckli oder Bröckli vermisste und mit einem reichlich dummen Gesicht eine fadenlange Schlämpe ohne Brot aus dem Fondue herauszog. Ein söttiges Missgeschick war dann gar nicht so lustig und hatte fast immer ein Nachspiel. Wer sein Möckli oder Bröckli nicht mehr an der Gabel hatte und dann auch noch so blöd war, den anderen die Schuld daran zu geben, hatte nichts Besseres verdient, als an den Pranger gestellt zu werden. Freilich mehrten sich die verlorengegangenen Möckli oder Bröckli in ebendem Masse, wie wir dem Wein zusprachen, womit dann auch die gegenseitigen Beschuldigungen derart überhand nahmen, dass sich die meisten von uns schworen, zum nächsten Fondue-Plausch einen persönlichen Anwalt mitzunehmen. Als wir den Caquelon-Boden endlich erreicht und auch noch die Kruste weggeputzt hatten, geschah es, dass man reihum zu schnaufen und zu rücken begann; eines (richtig: neutrum) nach dem andern erhob sich mit einem etwas trümmligen Kopf, um auf die Toilette zu gehen. Und plötzlich hatten es alle ganz pressant und nestelten schon an ihren Hosenverschlüssen herum. Der Völkerwanderung in Richtung Örtli konnte sich kaum jemand entziehen, wobei man dasselbe zuerst einmal finden musste. Im hintersten Winkel stiessen wir endlich auf ein verstecktes Türchen, durch welches wir uns alle mitenand hindurchquetschten.

 

(Fluchen, Rempeleien, Schimpfen, Keuchen)

 

Doch zu früh gefreut! Änedra war lediglich ein Durchgang, und als wir weiter vorandrangen, kamen - oder schlipften wir vielmehr, da der Boden vom vielen einsickernden Wasser ganz mit Kalk überzogen war - über Steinstufen und auf felsumschlossenen Pfaden immer tiefer in den Berg hinein, und auf einmal standen wir vor einem mächtigen Portal, hinter welchem sich das Gewölbe einer unterirdischen Kathedrale auftat.

 

(hallende Stimmen, Flüstern, leises Orgelspiel)

 

Die Studiosi - gar nicht schüch - eilten mit offenen Hosenschlitzen auf das Taufbecken zu. Doch ehe auch nur einer von ihnen dazu kam, sein aufgestautes Brünneli zu machen, erscholl eine Donnerstimme und stuuchte sie zusammen, dass ihnen Hören und Sehen verging.

 

Erster Priester: (mit osteuropäischem Akzent) Ihr Saububen! Entweiht nicht die innerweltliche Gebenedeitheit des syldavischen Exilantenheims!

 

Zweiter Priester: (mit osteuropäischem Akzent) Aufhören!

 

Dritter Priester: (mit osteuropäischem Akzent) Beim Heiligen Nikodemus!

 

Blunschi: Die da so ausriefen wider die Gotteslästerlichkeit, das waren vielleicht welche; die kamen mit schneeweissen Bärten und goldgeschmückten Hirtenstäben durch den Chillenchor gerauscht und mürzten herum wie angeschossene Santichläuse. Und wie wenn das nicht genügt hätte, um uns die Schamröte ins Gesicht zu treiben, mussten wir dann auch noch feststellen, dass dies tatsächlich eine Zufluchtsstätte war. In den Bänken erhoben sich etliche Leute, welche dort still gebetet hatten: Kopfduechli-Frauen, Schnäuzli-Männer, aber auch Kinder. Und alle sahen uns vorwurfsvoll an.

 

Einer der Priester: (mit osteuropäischem Akzent) Habt Erbarmen mit dem frommen Volk Syldaviens!

 

Blunschi: Goethe, welcher selber ja auch nicht der Frömmste war, ja nicht einmal der Zweitfrömmste, zeigte doch immerhin ein gewisses Gspüri: für die beabsichtigte und zum Glück nicht ganz zur Ausführung gelangte Säuniggelei der Studiosi entschuldigte er sich in aller Form. Woraufhin sich die Entrüstung schlagartig beruhigte und sich der Oberpriester - der Älteste und Bärtigste dieser kurligen Patriarchen - mit Goethe ins wärmste Einvernehmen setzte.

 

Oberpriester: (mit osteuropäischem Akzent) He, bisch Freund, lass dich in mini Arm schliesse; bisch guete Mensch, ich gseh scho. Dorum gib ich dir gueti Wort mit uf em Wäg. Dä Kathedrale do isch rächt nutzlich, isch nit numme Stei und hohl inne, nei, isch euses Exil. Früener emol, isch lang här, haben die katholikischen Urschwyzer do dinne Gottesdienscht gemacht, weisch, Gott hab sie selig alli zämme, doch dann sind wir gekommen, und sie haben uns hier Loschi gegeben. Du verstehsch? Loschi - Asyl-Unterkunft. Obwohl wir nicht katholokisch sind, weisch, sind wir nicht, wir sind syldavisch-orthodox. Als wir für Grosssyldavien euses Bluet hingegeben haben, echtes Bluet vo Märtyrer, sind villi von uns geflohen mit Sack und Pack, um bei Brüdern und Schwöschtern Exil go beantrage. He weisch, das war dann schlimm, he. Ich find’s nit luschtig im Fall. Sitdäm - ich schwör - sitzen wir fescht in däm Exilantekathedral, und es isch all wi schlimmr worde, all wi schlimmr, und zum Troscht blibt is numme Gott und euse Heilland - Lob und Preis auch der gnädigschten Muttergottes - und ganz konkret das Vertrauen in die allerhöchste Schweizer Regierungsrat, wo uns humanschtens Exil gewährt, doch in Gedanken und mit dem Herzen isch jedes vo eus, jedes, stets und immerwärts in Syldavien, wo isch Heimat für uns, und täglich beten wir für unsere Ruckkehr, weisch, wir beten inbrunschtig wägem Chrieg und däm ganze Züg...

 

Blunschi: Ob dieser ausufernden Rede war Goethe im Innersten ergriffen, und flüsternd setzte er mich davon in Kenntnis, dass er nach seiner Rückkehr nach Weimar ein Ideendrama über den syldavischen Freiheitskampf zu schreiben gedenke. Ja, es schwebe ihm etwas überaus Dickes und Grosses vor.

 

Goethe: Andererseits, Blunschi, ich weiss nicht so recht. Vielleicht sollte ich das meinem Kollegen Schiller überlassen. Der kann das viel besser als ich... Nur unter uns gesagt. Aber genug davon. Sie wissen ja, ich bin Göpf, nicht Goethe...

 

Blunschi: (in läpplihaftem Ton) Jäwoll, Herr Göpf. Und Euche Kolleg heisst nit Schiller, sondern Müller.

 

Stingelin: Schosto lo baisch gosch! U`rs da-la vötz! Burz-tschotscholapitsch!

 

Blunschi: War’s ein pfingstliches Zungenreden - oder sass ihm etwa der Leibhaftige im Genick? Der Stingelin Meinrad hatte sich vor den Priestern auf die Knie geworfen und lallte wie ein Verrückter vor sich hin. Seine Sprache war eine völlig frömdartige - etwas wie das Ramuntsch-Gabuntsch-Gabautsch der Rätier, aber noch viel verdrüllter, und den Priestern verschob es fast die Schubladen im Gesicht vor lauter Staunen. Das Staunen war jedoch ein freudiges, denn sie gewahrten, dass der Stingelin fliessend syldavisch sprach: ihre eigene Muttersprache!

 

Oberpriester (mit osteuropäischem Akzent, sehr pathetisch): Ein Syldave! Ein Landsmann!

 

Blunschi: Da erhob sich der Stingelin Meinrad mit stolz und gäch gereckter Stirn.

 

Stingelin: (an die Studiosi und die Reisegesellschaft gewandt) Das isch d’Wohret! Duet mr leid, liebi Mitkommilitone, ich ha euch die längschti Zyt öppis vorgmacht. Als Usländer hätt ich dere hochwohllöbliche Verbindig gar nie döffe byträte. Jäwoll, das bin ich vo Geburt uf, en Usländer, e fremde Fötzel. I bsinn mi jetzt uf das, wo ni bi, und gib mis Amt als Erschtchargierte ab. Voila, do isch mis Abzeiche, do isch mi Mütze, und dr Säbel cheut er au grad no ha ... Vorbei die Burschenherrlichkeit! Jetzt lueget doch nit eso - nundedie. Me chönnt jo meine, ich heb euch’s Studium versaut. Derby han ich doch alli Regle ighalte, i bi päpschtlicher gsi als dr Papst, numme im umgekehrte Sinn, an jedem Convent, an jedem Jubel-Komers, an jedem Stiftigsalass han ich die grusigschte Sprüch chlopft und Bier glütteret wie ne ganzi Elefantekarawane, und saget jetzt numme nit, dir siget nit nydisch gsi, dir müent zuegäh, i ha mi virtuos verstellt; - mit mim tadellose Dialäkt han ich jede Schwyzer im Schwyzersy überflüglet, und mit minere patriotische Rabautzigkeit bin ich dr ideali konservativi Studänt und Riegierigsrotsawärter gsi: Ehre und Treue, allzeit im Sinn! Hoch lebe Helvetia! (Schaltet auf osteuropäischen Getto-Slang um) Aber damit isch Schluss jetz, he. Ich verleugne mi nümm. Syldavie isch mineri Heimat, und mineri Familie- und Künschtlername isch Mirslozowich, ich schwören euch, ich bi genau dä Mirslozowich, wo dir jetzt gar nit glaubet, dä sig ich, aber dä bin ich hunderprozäntig, i bi kei normale Mirslozowitsch, i bi dr grossi Pianoforte-Mirslozowitsch us Klow... Alli Wält kennt en, und alli hän gmeint, er sigi nüme am Läbe. Ganz konkret, dir müent wüsse, ich bi gflüchtet us Syldavie use wie dir, ich bi in anderi Land gange gones Studium go mache. Aber für Universität und so bin ich vil zschlau. Ich ha numme derglycho do, Mann, für Gheimdienscht vo Syldavie han ich als Agänt gschafft. Dr Räscht han ich numme derglyche do, und ich schwör, ich ha das für min Heimatland gmacht.

 

Blunschi: Aber nomol - eins nach em andere und eso dass me’s au in Guggisbärg obe verstoht: da hatte sich also der syldavische Grosspianist Mirslozowitsch als kleiner rotznäsiger Schweizer ausgegeben, um sich geheimsten geheimdienstlichen Umtrieben zu widmen, zu welchen, wie wir weiters erfuhren, auch die Aufgabe gezählt hatte, die irgendwo in den Alpen verschollene syldavische Exilgemeinde ausfindig zu machen, um sie ins Gelobte Land heimzuführen. Denn die Lage in Syldavien hatte sich gründlich verändert, und zwar zum Guten. Die kriegsversehrte Wüstenei von einst hatte sich in ein friedliches Grossreich verwandelt. Die Dächer waren aus blitzendem Gold, die Männer waren kühn und stark, die Weiber hatten dralle Tutten, es floss Milch und Honig, und sämtliche Störenfriede, Revoluzzerheinis und Landesverräter schauten die Radiesli von unten an. Das Pack hatte es auch gar nicht besser verdient... Die aufrichtig patriotisch gesinnten Exilanten waren ausser sich vor Freude, als sie diese Neuigkeiten erfuhren, sie jubelten Mirslozowitsch aus voller Kehle zu und kürten ihn zu ihrem Nationalhelden, und die Priester spendeten ihren Segen nach links und rechts und oben und unten und schwenkten ihre Weihrauchhäfeli, dass man bald kaum noch die Hand vor den Augen sah.

 

(Feueralarm setzt ein)

 

Blunschi: Infolge des immer dichter werdenden Qualms hatten die automatischen Rauchmelder zuverlässig Alarm gegeben, und kaum hatte man dreimal gehustet, kam auch schon die Feuerwehr angerückt - nicht irgendeine Feuerwehr, sondern die guttrainierte Brandbekämpfungstruppe der Seeligengupfer Bergwache unter Oberkommandant Ferdinand Löbeli.

 

Ferdinand Löbeli: So, do wäre mer! Jetzt fehlt numme no sFüür!

 

Blunschi: Daher kam es dann, dass der Oberkommandant im ersten Moment einen Muffgrind machte. Das ganze Gerenne für die Katz! Das Füür der Begeisterung zählte für ihn natürlich nicht, das brauchte er auch nicht zu löschen. Doch als er unter den Anwesenden seine Tochter Lia Löbeli erblickte und diese ihm lachend entgegentrat, ging in seinem Gemüt ein strahlendes Sünneli auf. Lia Löbeli war tatsächlich seine leibliche Tochter. Auch ein Knorzisiech von einem Baum kann mal ein hübsches Äpfelchen fallenlassen! Späterhin, als wir dann näher miteinander bekannt wurden, vertraute mir Ferdinand Löbeli ohne viel Umschweife an, dass er Lia Löbeli vor etlichen Jahren vermutlich zwischen zwei Brandschutzübungen gezeugt habe. Zwar konnte er sich kein bisschen mehr daran erinnern, aber das Ergebnis lag ja vor und bedurfte keiner besonderen Nachforschungen... Nun wollte er von seinem Töchterchen wissen, ob sie für den diesjährigen Feuerwehrmaskenball ein gutes Kostüm gefunden habe.

 

Lia Löbeli: Aber gwüss, Pape. Mit däm kennsch mi denn im Fall nümm!

 

Blunschi: Der Oberkommandant nutzte die Gelegenheit und lud die ganze Reisegesellschaft und selbstverständlich auch die Exil-Syldaven zu sich in den Bergwachtbunker ein, wo der Feuerwehrmaskenball stattfinden sollte. Man kann sich gar nicht vorstellen, wir sehr sich unsere Reisegruppe über die unerwartete Einladung freute: endlich durfte ein jeder sein Brünneli machen gehen. Aber auch die Exil-Syldaven freuten sich, vorzüglich die Priester. Diese hatten nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie mit ihren reichverzierten Gewändern im Mittelpunkt des Maskenballs stehen würden, und der eine oder andere begann sich verstohlen die Augsbrauen nachzuziehen und ein bisschen Rouge auf die Wangen zu tupfen.

 

(virtuoses Klavierspiel ertönt, Geige setzt ein)

 

Blunschi: Dem syldavischen Grosspianisten Mirslozowitsch kam die unvergleichliche Ehre zu, den diesjährigen Feuerwehrmaskenball der Seeligengupfer Bergwache mit einer kleinen, aber feinen musikalischen Darbietung zu eröffnen. Und Goethe war sich nicht zu schade, seiner allzeit griffbereiten Kreuzfidel eine lüpfige Begleitung zu entlocken, - zumindest gab er sich alle Mühe damit. Nach einigen flott heruntergespielten Takten ging es dann auf einmal nicht mehr so flott, und Goethe verstrickte sich in einer Wirrlete, welche das ganze Musifizieren gehörig aus dem Tritt brachte. Mirslozowitsch konnte nicht umhin, Goethe ein bisschen auf den Zahn zu fühlen.

 

Mirslozowitsch: He weisch, Göpf, dineri Spil isch nit guet im Fall, ich glaub, du bisch gar nit dä, wo du saisch, du sigsch en. Du liebsch Violinspil nit, du bisch weniger als Dilettant - oder vil vil meh. Ganz konkret: wär bisch du eigentlich?

 

Blunschi: Diese Frage war verfänglich, zumal sie den Inkognito-Träger einer Verdächtigung aussetzte, welche gar nicht so leicht zu entkräften war. Zu seinem Glück oder vielleicht doch eher Unglück geschah es in ebendiesem Moment, dass Lia Löbeli hereintrat und die ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie hatte sich - ja, man glaubt es kaum - als Goethe verkleidet, und in der Tat war die Ähnlichkeit mit gewissen Goethe-Konterfeis unmöglich zu leugnen; - allerdings fiel auch die Ähnlichkeit mit Herrn Göpf, dem vorgeblichen Bäckermeister aus Binzen bei Basel, einem jedem sofort ins Auge und sorgte für beträchtliche Irritation. Der arme Herr Göpf sah in Lia Löbelis Aufmachung seine mehr schlecht als recht verhehlte Ähnlichkeit mit Goethe auf verräterische Weise widergespiegelt, und infolgedessen fühlte er sich seines schützenden Inkognitos entblösst und beraubt. Es stand wahrhaft zu befürchten, dass er hier noch das übliche Festtagsprozedere über sich ergehen lassen und eine Rede zu seinen eigenen Ehren halten musste. Johann Wolfgang von und zu Goethe - das lebendige Denkmal mit Geheimratsecken und Wohlstandsbäuchlein. Alle kratzten sich am Kopf und schauten ihn verwundert an, ausser Lia Löbeli. Die war nur mit sich selber beschäftigt.

 

Lia Löbeli: Und wo blybt mi Applaus! Bin ich nit e guete Goethe? Wiso saget dr au nüt?

 

Blunschi: Kunststück, dieser doppelte Goethe-Mummenschanz war verwirrlich bis änenuse: keine Sau kam mehr draus. Dabei hatte sich Lia Löbeli solche Mühe gegeben, dem Anlass ein schönes Tüpfelchen aufzusetzen. Eine markante Klassikernase hatte sie sich ins Gesicht geklebt, und auf dem Kopf - oder vielmehr dem Dichterhaupt - trug sie den echten Goethe-Hut, von dem sie natürlich nicht wissen konnte, dass er echt war. Sie hatte ihn ja an der Mötschtaler Mitternachtschilbi für nicht viel mehr als ein Butterbrötli erstanden, und es war exakt derselbe Hut, den sie schon auf der Reise angehabt hatte. Für den Maskenball hatte sie ihn lediglich umgestülpt, sodass nun die richtige, die schwarze Seite nach aussen schaute, während das rote damenhutähnliche Innenfutter den Blicken verborgen war. Goethe hatte seinen vermissten Hut die längste Zeit vor der Nase gehabt und es nicht einmal gemerkt, dieser Dotsch! Und das, obwohl ihn Herr Waber verschiedentlich versucht hatte drauf hinaufzulüpfen. Eso öppis! Goethe war ganz vergelschtert und beinahe ausserstande, seine Gesichtsfarbe zu behalten. Freilich lag das nicht nur an seinem waggligen Inkognito...

 

Goethe: Blunschi, es graust mich! Ein Déja-vu!

 

Blunschi: Hejo, ich war ja dabeigewesen und kann es unter Eid bezeugen: auf dem Hinweg hatten wir bygoscht etwas ganz Ähnliches erlebt. Unsere eigene Kutsche war uns entgegengefahren! Und nicht genug damit: aus dieser Kutsche hatte, wie um die Gespensterei zu vervollständigen, ein zweiter Goethe herausgeschaut. Das war dann gar nicht so ghür gewesen, das! Und ich fand es nur allzu begreiflich, dass Goethe von dorther immer noch einen gehörigen Schrecken in den Knochen hatte. Lia Löbelis Mummenschanz verstörte ihn zutiefst und trieb ihn sogar in die Flucht. Ehe ich die nötige Geistesgegenwart aufbrachte, um angesichts der Absonderlichkeit der vorliegenden Situation einen raschen Entschluss fällen oder einen söttigen auch nur ins Auge fassen zu können, gab sich Goethe ein mächtiges Fersengeld und verwandelte sich in einen Kugelblitz, welcher mit vielen Fünklein an den Füssen herumbeinelte, herumzappelte und herumgumpte und alles über den Haufen lief, was ihm in den Weg kam.

 

Mirslozowitsch: He, Göpf, wo ane gosch? Wotsch nit nochly Violin spile?

 

Blunschi: Göpf alias Goethe war schon längst ausser Rufweite. Mirslozowitsch schloss seufzend den Klavierdeckel und begab sich dann zusammen mit der ganzen Festgesellschaft zu den Bunkerscharten, durch welche man sehen konnte, wie Goethe weit, weit unten über den von Scheinwerfern taghell beleuchteten Glurigletscher rannte. Zu meiner Verwunderung sprach niemand ausdrücklich das aus, was die meisten hier wohl dachten: nämlich dass Goethe und Göpf zusammengehörten wie Karotte und Rüebli. Der Verdacht stand allerdings im Raum und war fast mit Händen zu greifen. Und das gschämige Verhalten des Herrn Geheimrats war keineswegs dazu angetan, aus den Scherben wieder eine Vase zu machen. Die Verwirrung war in der Tat beträchtlich, und sie wurde noch beträchtlicher, als der Syldavische Oberpriester eine ziemlich weit hergeholte Vermutung ins Spiel brachte.

 

Oberpriester (mit osteuropäischem Akzent): Villicht isch dä vo Syldavie wi mir! Sin Tämparamänt isch sehr schtark! Und sin Schnuuf schmöckt nach Chnoblauch!

 

Blunschi: Doch dergleichen Vermutungen wischte Ferdinand Löbeli unwirsch vom Tisch.

 

Ferdinand Löbeli: Chabis! Dä chunnt nit us Syldavie. Dä Göpf isch e Schwob, - und ich sag Ihne, dä isch nit vo Binze, dä isch vo hinterem Schwatzwald, eh, Schwarzwald. Mi dunkt’s, är glycht echly em Herr Goethe vo Weimar, das isch dä, wo dEmilia Galotti gschribe het! Ha, scho zwöi Goethes! E luschtige Zuefall, gäll Lia.

 

Blunschi: Lia Löbeli nickte wie ein Gänseblümchen. Es war Mirslozowitsch, welcher die Sache endlich auf den Punkt brachte.

 

Mirslozowitsch: He, weisch, eine vo denere Goethes isch ächt. Ich schwör!

 

Blunschi: Alsgemach besann man sich dann aber doch noch auf die eigentliche Festivität. Etliche Feuerwehrleute waren als Feuerteufel, Korallenstöcke und Futterartikelverkäufer verkleidet. Fixfertig kostümiert waren auch die Priester, welche freilich schon so auf die Welt gekommen waren. Die andern nahmen mit dem Fürlieb, was sich in der allernächsten Umgebung auftreiben liess. Manche besorgten sich aus dem Feuerwehrdepot eine Rüsselmaske, auch Gasmaske genannt, und schnorchelten damit ans kalte Buffett - nur um dort festzustellen, dass man mit einem solchen Dingsda vor dem Gesicht unmöglich Wein trinken oder Salzstängeli knabbern konnte. Ich selbst nahm meine Rüsselmaske alsbald wieder ab und verwandelte mich von einem Elefanten oder Ameisenbären zurück in einen Flachnasenaffen. Daraufhin spazierte ich ein bisschen im Bunker herum und wurde Zeuge, wie Herr und Frau Waber, welche sich weniger denn je schmöcken konnten und so taten, als wäre die chinesische Mauer zwischen ihnen, nacheinander ins Feuerwehrdepot schlichen, um dort ein passendes Kostüm zu suchen. Sie wollten ja nicht hintanstehen mit Lustigsein, obwohl oder gerade weil sie beide im Sauertopf schmorten, und so quetschte sich jedes von ihnen mit Ach und Krach in einen blechernen Taucheranzug, welcher beim Gehen quitschte und knarrte wie eine rostige Ritterrüstung. Am kalten Büffett trafen sie dann unvermeidlicherweise aufeinander, und es entspann sich ein lockeres Gespräch zwischen ihnen. Beide waren derart umfänglich maskiert, dass nicht nur das Äussere, sondern auch die Stimme unkenntlich war, und so ahnten beide nicht im geringsten, wen sie da gerade vor sich hatten. Was dem gegenseitigen Verständnis zweifellos zugute kam. Innert kurzem waren sie EIN Herz und EINE Seele, und es stellte sich heraus, dass jedes von ihnen schon immer davon geträumt hatte, ein Delikatessengeschäft für Hundefleisch zu eröffnen. Was für ein wunderlicher Zufall! Was für ein Glück! Wieso also nicht gemeinsame Sache machen?

 

(Goethe jodelt aus der Ferne)

 

Blunschi: Mit vielen Üs und Os schallte es hinter Goethes Gurgeli hervor und den ganzen Glurigletscher durab und weckte dabei etliche lustige kleine Echos. Was war doch dieser Goethe für ein Siebensiech! Auf seiner ersten Schweizerreise hatte der dannzumal noch sehr junge Dichterling nebst vielen andern Fertigkeiten auch das Jodeln gelernt. Hejo, wenn so ein stimmgewaltiger Alpensänger von einer Lawine erfasst und lebendigen Leibes begraben wird, braucht man keine Suchhundestaffel, um ihn aufzuspüren. Sein “Joledulidu” durchdringt den tiefsten Schnee! Dies hatte Goethe sofort begriffen, und so hatte er sich das Jodeln zu eigen gemacht, schaden konnte es jedenfalls nicht. Als ich ihn nun jodeln hörte, war mir unzweifelhaft klar, dass dies kein Freudenjodel war, denn vor der Abreise hatte mich Goethe noch extra in seine Jodelsignale eingeweiht. “Joledulidü” bedeutete: “Ich freue mich des Lebens ganz ungeniert”, und “Joledulidu” bedeutete: “Ich bin in schröcklicher Not”. Letzteres war es, was ich nun zu hören bekam, weshalb ich meine ganze Aufmerksamkeit auf die erforderliche Hilfeleistung konzentrierte. Ich rannte hinaus wie das Büsiwetter, bewaffnet mit Seil und Sanitätsetui. Goethe war in ein Loch getrampt und sass mit einem Bein kläglich darin fest. Sofort eilte ich hinzu und speuzte beherzt in die Hände.

 

Goethe: Blunschi, schnell, ein Stück Papier, ich habe eine Inspiration!

 

Blunschi: Inspirifiziert wärde chönne sie denn spöter no, Herr Göpf. Zerscht müen mr Sie emol do use becho! Warte Sie, das häm mr grad, ei Momänt.

 

Blunschi: Doch was ich auch anstellte, ich machte alles nur noch schlimmer. Die Eisdecke brach ein, als wäre sie aus Gips, und gemeinsam rutschten wir eine spiegelglatte Bahn durab und hinein in eine Grotte tief unter dem Gletscher.

 

(Gepolter, dann Stille mit Wassergetröpfel, Geräusche einer Höhle, Goethe und Blunschi rappeln sich stöhnend hoch)

 

Blunschi: Halb benommen fanden wir uns inmitten von Reagenzgläsern, Retorten, Destillierkölben und Töpfen, und überall köchelte und glutschte es wie in einer Hexenküche. Kaum vermag ich einen zureichenden Begriff von den komischen Sachen und Sächelchen zu geben, welche sich unsern erstaunten Blicken darboten: ausgestopfte Salamander, in Spiritus eingelegte doppelköpfige Missgeburten und eine ganze Sammlung mumifizierter Mäuse. Wiewohl das alles nicht besonders amächelig aussah, fühlte sich Goethe sogleich in seinem Element. Er musste alles betöbeln und seine Nase in jedes noch so übelriechende Glas hineinstecken. In seiner Wundernäsigkeit hielt er sich womöglich für das Mondmännli, welches einen ganzen Himmelskörper für sich alleine hat. Doch hier drinnen waren wir bigoscht nicht alleine. Wir wurden beobachtet, oder besser gesagt: mit Blicken seziert. Ein Dickfetzen mit Brille und einer fetten, glupschäugigen Kröte auf der Schulter stand seelenruhig an ein Pult gelehnt und machte keinerlei Anstalten, uns zu verscheuchen. Stattdessen verfolgte er forschend jede unserer Bewegungen - nicht anderscht, als er es bei Versuchsmäusen getan hätte. Ich stupfte Goethe mehrmals in die Seite, um ihn auf diesen unheimlichen Hausherrn aufmerksam zu machen. Als ich dann auch noch den grossen schwarzen Hund bemerkte, welcher sich schnurrend wie ein Büsi an den Beinen des Kolosses rieb, wurde mir wahrhaft ein bisschen anderscht.

 

(leises, bedrohliches Schnurren des Hundes, Quaken der Kröte)

 

Paracelsus: Düen Sie sich kei Zwang a, Herr Goethe... Fühle Sie sich wie in Ihrem Theaterstückli über dä - wie heisst er scho wider - dä Doktor Fauscht. Dä Stümper und Hochstapler hän sie meini ganz schön ufestilisiert! Ich sag Ihne numme eins: dr wohri Spagyriker dient Gott und dr allbeseelte Natur, - und dr Deubel het do gar nüt z’mälde. Theophrastus Bombastus von Hohenheim isch mi Name, Magischter Medicus und Säftlimischer von Gottes Gnaden isch mi Titulation. Helvetius Eremita nenne mi dProfässore. Die eifache Lüt kenne mi als Paracelsus; - dä Name heisst wörtlich übersetzt “der Erhabene”, was ich do numme ganz näbeby möcht erwähne, Bescheidenheit ist eine Zier, Einfachheit eine Tugend... Für die, wo mi guet kenne, bin ich schlicht und eifach dr “Fätze”. Ich han euch zwöi erwartet, und erkläre müent er gar nüt, ich weiss alles. Dr Oberdiagnoschtiker Paracelsus scho weiss. Zum Byspil, was Sie mit Ihrem Huet gmacht hän, Herr Goethe, chönne Sie sich noch erinnere? Sie hän doch das schöne Mädeli mit de stramme Wädeli gseh am Strosserand, und zum’s gruesse hän Sie Ihre Huet echly atippt, - höhö, der geheimnisvolle Galan aus dem Norden, en alti Masche, aber doch immer wider ganz probat, und denn het doch dKutsche e chlyses fieses Rückli gmacht, und dodrususe het sich denn blind und zwangsläufig alles Folgendi ergäh: Sie hän Ihres Halsdäfi verschluckt und hän ghueschtet wie lätz. Use dermit war das Gebot des Augenblicks, und das hän Sie denn au gmacht. Sie hän choderet und gspeuzt wi nes ganzes Lungesanatorium! Und trotz all Ihrem Wüsse isch Ihne anschynend nit bewusst gsi, was Sie dermit arichte. S’Huetatippe und s’Usespeuze vo Speuz in Kombination mitenand entspricht eme ne uralte Transkubationszauber! Sie hän sich sälber mitsamt Ihrem Reisemobiliar teleportiert, himmelwyt verfrachtet in en andri Dimension ine, ines nächtlichs Paralleluniversum, ins Traumland der Nyx mit Ypsilon, “wo die Schäfchenwolken schwarz sind”, schwarz wie der schwärzeste Nigredo, das Flaschendüfeli des Alchemischten. Und jetzt müen Sie dr Usgang finde, nit wohr. Dr Huet zumindescht hän Sie scho mol gfunde. Ho, wohär ich das alles weiss? Jo, erschtens bin ich allwüssend und zwöitens, eh,... weiss nümm - und drittens isch’s mir glych ergange wie Ihne, Herr Kolleg. Unwüssentlich han ich dä Zauber usglöst und bi quasi mit em gringschtmögliche Verstand vora in die Wält inegrutscht... Aber im Unterschid zu Ihne, Herr Goethe, ghör ich do ane wie ne Zitroneschnitz uf e Fisch, ich bin en usgspeute Nachtmensch, nit e Sunneabäter wie Sie, und wüsse Sie was? Ich ha do mi wohri Bestimmig gfunde. Niemeds verfolgt mi mit Undank und Nyd, numme wil’s mir öppe die emol glingt, a Halbtote halbläbig z’mache. Und sAllerbeschti isch doch: ich chumm ändlich zu mim wohlverdiente Schlof. Vo Zyt zu Zyt suech ich mir es Schlofplätzli, und bevor i mi ufs Ohr hau, due ni mis Körpervolume süferlig vervilfache: so wird au mi Schlof über jedes Mass use riesig und ich cha drin abtauche wi ne Walfisch im Ozean, und das mach ich denn nit numme für mi, ich mach das au für alli die ahnigslose Nachtschattegwäggsli rings um mi umme. In däm düüfe, gsunde Schlof bechum ich jedes Mol e ganze Schübel Astralenergie - das sogenannte ENS ASTRORUM - das suug ich in mi Rieseranze ine, und döt dinne duen ich’s nach uralte alchemistische Gsetz umwandle in e fynstofflichs Läbenselexier, wo allne Nachtbewohner diräkt in Lunarplexus inestrahlt. Denn jede Mensch verfügt über “einen ätherischen Seelenwagen, welcher mit dem ENS ASTRORUM in innigster Verbindung steht”. Jäwoll, Frau Holl. Ich bi nüt anders als es Kraftwärk, ich versorg mi ganzi Umgäbig mit Läbensenergie. Dank minere Transformationstechnik chönne die sunneentwöhnte Nachtbewohner munter ummegwaggle und uf jede Schlof verzichte. Nie wärde si müed! Wahrlich, wahrlich, dr Doktor Paracelsus richtet’s scho! Und die Armlüchterli vom Kurhotel Dännlisalp meine no, sie müesste mi in Schloof inesinge. In däm Glaube lo ni si gärn, Glaube macht selig, solang me nit an die verdammte Hochstapler und Quacksalber glaubt, wo sich Ärzt und Apotheker nenne. Das verdammti Gsindel, die Hueresieche, dä Saumore-Verein... Schlämpeschysser, Teigaffe, Chlückerlischlucker, Moschtchöpf, Brunzchöpf, Brunztulpe, Arschgyge, Arschfyge, Schliimbeutel, Querulanteheinis, Chrüzworträtselministrante, Quätschdumelutscher, Furzglöckner, Hudipfupfbanause...Oh, eh, ich bitt vilmols um Entschuldigung. Mängisch goht’s halt mit mr dure. Villicht vertrag i die Quäcksilberkur nit eso guet, wo ni mir sälber verschribe ha.

 

Blunschi: Goethe schnappte schon lange nach Luft...

 

Goethe: Verehrtester Magister, ich hätte da eine Frage: gibt es irgendeine Möglichkeit, den Hutzauber rückgängig zu machen?

 

Paracelsus: Numme kei Angscht, Herr Goethe, für dä Fall han i vorgsorgt. I ha nes Zauberpflänzli züchtet: - us em Gnaphalium, besser bekannt als Edelwyss. Die Neuzüchtig wird wohrschinlich nie in dBotanikbüecher igoh, aber i ha trotzdäm e latinischi Name derfür: Linus Lumbus Laudarum. Do, luege Sie, ich ha grad e wunderschöns Exemplar für Sie pflückt - früsch us em botanische Bruetchaschte. Es ghört Ihne. Wenn Sie dermit ihre Huet touchiere und derzue ane au no chräftig usspucke, katapultiere Sie sich döt ane zrugg, wo sie härcho sin. Näbewürkige git’s keini: es sig denn, i ha mi in dr Dosierig verhaue.

 

Blunschi: Droben wurden wir schon sehnlichst erwartet. Unter Ferdinand Löbelis Oberkommando hatte sich die ganze Festgesellschaft mit Seilen, Stangen und Leitern ausgerüstet und durchkämmte den menschenverschlingenden Gletscher von vorne bis hinten. Als man uns aus dem Eisloch hervorkriechen sah, eilten alle wie aus der Büchse geschossen auf uns zu und vergewisserten sich, dass wir auch nichts gebrochen hatten. Die Studiosi und die Bettschoner waren freilich nicht mehr so gut auf Göpf alias Goethe zu sprechen. Was er da nur für dummes Zeug mache, tadelten sie ihn. Und ob er nicht endlich mit der Wahrheit herausrücken wolle, er sei doch gar nicht Göpf. Schon der oberflächlichste Augenschein verrate nur zu deutlich, dass er niemand anders als Goethe sei. Er müsse dann nicht öppen meinen, er käme mit diesem Schwindel durch! Goethe hin oder her, Ehrlichkeit sei eine Tugend, und die Wahrheit sei der Dichtung in jedem Fall vorzuziehen. Wo käme man denn hin, wenn jeder einfach irgendetwas behaupten würde? Und wie stehe es eigentlich mit dem Vierdreifünfteltausender? Habe man da nicht einmal etwas zwitschern gehört? Als Goethe sei es ihm doch ein Leichtes, sie nun endlich zu diesem Berg zu führen!

 

Goethe zuckte die Schultern und lächelte vor sich hin, wobei er sich ein wenig das Kinn kräbelte. Was diese Leute hier von ihm erwarteten, scherte ihn ehrlich gesagt einen feuchten Schuh. Mit dem Linus Lumbus Laudarum in der Tasche war ihm die Heimfahrt so viel wie gewiss, und ich brauchte kein Gedankenleser zu sein, um erraten zu können, was in ihm vorging: bestimmt dachte er an sein lauschiges Gartenhäuschen in Weimar, an die liebe Frau Gemahlin Christiane und an die liebe Frau von Stein und an den lieben Kollegen Schiller, welcher immer so grausligen Tubak schnupfte, und ich bin mir sicher, dass Goethe in diesem Moment sogar noch lieber mit dem Dorftrottel von Weimar zusammengewesen wäre als mit diesen Schweizerischen Motschköpfen, welche jeden Hafenkäse zum Anlass für ausgedehnteste Mäkeleien nahmen und nie zufrieden waren mit dem, was sie hatten. Goethe lächelte nicht umsonst vor sich hin. Die baldige Heimreise machte ihn getrost, und auch ich war nicht unfroh, bald wieder nach Hause zu können. Indessen wurden uns noch etliche Steine in den Weg gelegt. Mirslozowitsch liess nichts unversucht, den Abschied zu vereiteln.

 

Mirslozowitsch: Gööööthe! Göööthe! Bisch e Luschaib, he, hesch guet gloge, ich mach Komplimänt, weisch, wenn eine guet duet liege. Isch Phantasie, was du uns verzellt hesch, aber macht nüt, weisch, ich ha’s im Fall nit glaubt, dass du mit eus wötsch go Gipfelstige, wil dä Gipfelbestigig, wo du gsait hesch, dä git’s, dä git’s gar nit, isch alles Phantasie und numme in dim Chopf, macht nüt, weisch, ich verstoh, Alpe sin vil zchli, Alpe sind numme minimal, und dSchwyz isch au vil zchli, isch numme nimimal. Ich mach Vorschlag. Was haltisch dervo, Gööthe? Alli zämme mitenand gönge mr nach Syldavie und fange döt neus Läben a! Isch guete Vorschlag, was meinsch Gööthe? Weisch, in mineri Heimatland git’s Exil für alli, und ganz speziell für die, wo wän cho, will do alles e bitzli z’minimal isch, alli sin willkomme. Alli Schwyzer, alli Dütsche, und ganz speziell Studänte vo Universität. He mini Studäntefründe, euch isch’s langwylig do, ich gseh scho. In Syldavie isch’s euch nie langwylig. Jede Tag wird gschosse, gschläglet und vil, vil gsoffe. Nie isch’s langwylig. Möchet Asyl-Atrag, und dir heit alles, was dr weit.

 

Blunschi: Goethe und ich lehnten dankend ab. Aber die Studiosi, welche in der Tat ein Problem damit hatten, dass sie des Abenteuers ermangelten, schlossen sich dem Exodus nach Syldavien ohne viel Bedenken an. Mirslozowitsch und seine Exil-Syldaven gerieten darüber so aus dem Häuschen, dass sie Ferdinand Löbeli dazu drängten, ein paar Flaschen Schämpis aus seinem Feuerwehrdepot zu holen. Bevor sie die weite Reise in den wilden Osten antraten, wollten die Syldaven noch einen durchgeben und jeden Einzelnen der Anwesenden abschmützeln. Und die Priester wollten noch hurtig eine Messe abhalten, diesmal im Freien, damit es nicht wieder Feueralarm gab.

 

Herr und Frau Waber rüsteten sich ebenfalls für die Abreise. Aber bei ihnen ging es nicht in den Osten, sondern nur in die nächste Stadt. Ja Hergottstürli nonemol, damit hatte wohl niemand gerechnet: sowie sie aus ihren Taucheranzügen hervorgetaucht waren, hatten sich die beiden mit allen Anzeichen einer neu erwachten Zuneigung miteinander versöhnt - und so planten sie denn wieder eine gemeinsame Zukunft! Als erstes gedachten sie einen Kredit aufzunehmen, um ein Delikatessengeschäft für Hundefleisch zu eröffnen. Goethe, bekanntlich kein Hundefreund, zumindest was lebende Exemplare angeht, war von dieser Unternehmung sehr angetan und gab den beiden seine wärmsten Glückwünsche mit auf den Weg.

 

Goethe: Hunde sind doch eigentlich Kanaillentiere. Sie gehören auf den Teller, und zwar gut filletiert. Recht so!

 

(Stimmengewirr, Gläserklirren, Lachen, Gesänge)

 

Blunschi: Unter allerlei Kurzweil und Spässen feierten alle zusammen auf dem Gluri-Gletscher den bevorstehenden Auszug der Exil-Syldaven, welcher selbstverständlich nur mit allergrösstem Pomp und Getöse vonstatten gehen konnte. Ungeachtet der feuchtfröhlichen Stimmung wurde Goethe all wie ernster. Schliesslich fasste er mich und den braven Herrn Kutscher am Ärmel und zog uns beide im Schleichgang mit sich fort. Dem ausgelassenen Kreis der Schämpistrinker entkamen wir gerade noch rechtzeitig, bevor die Abschmützelei losging. Sodann schritten wir ziemlich beschwingt talabwärts zum Alpenbähnli, und dort nahmen wir unsere stehengelassene Kutsche wieder in Besitz. Der Kutscher striegelte und fütterte noch schnell die Rössli, während Goethe und ich schon mal unsere Plätze einnahmen.

 

Goethe: Ach, Blunschi. Die Ehe ist doch ein wunderliches Ding. Wenn ich an meine Christiane denke: sie kann weder lesen noch schreiben. Sie hat ungehobelte Manieren und ein Gebiss wie ein Pferd. Aber wissen Sie was? - Es kratzt mich nicht im geringsten.

 

Blunschi: Als der Kutscher endlich die Zügel zur Hand nahm und mit einem Schnalzen die träg gewordenen Rössli auf Trab bringen wollte, sahen wir am Berghang über uns eine kleine Person auf uns zugumpen. Sie fuchtelte mit irgendetwas in der Luft herum. Die Person war Lia Löbeli, und das, womit sie fuchtelte, war ein Hut.

 

Lia Löbeli: Nit, nit! Wartet! Herr Goethe, si hän Ihre Huet vergässe!

 

Goethe: Wie dumm von mir!

 

Lia Löbeli: (ausser Atem) Dä chönne Sie wieder ha. Er ghört Ihne. Ich glaub, Sie sin dr besseri Goethe als ich.

 

Goethe: Vielen Dank.

 

Lia Löbeli: Chömme Sie guet hei, Herr Goethe... Und Sie au, Herr Blunschi. Uf Widerseh!

 

Goethe: Vielleicht, mein liebe Lia, werde ich mich beim nächsten Feuerwehrmaskenball als Lia Löbeli verkleiden, das wäre doch eine Idee.

 

(Pferdegewieher, Hufgetrappel, Peitschenknallen)

 

Blunschi: Kaum hatte sich die Kutsche in Bewegung gesetzt, machte sich Goethe ans Werk. Mit dem Linus Lumbus Laudarum berührte er dreimal die Hutkrempe und spuckte anschliessend kräftig aus. Somit war es getan, und die Folgen liessen nicht lange auf sich warten. Aus lauter Bänglichkeit schloss ich die Augen und stellte mich ein bisschen tot.

 

(lautes Pfeifen, Sausen und Brausen)

 

Goethe: Schauen Sie, Blunschi! Die Sonne! Ha!

 

Blunschi: Als ich die Augen wieder aufschlug, sah ich fürwahr den heiterhellen Tag - Lichtreflexe - die sommerlichen Bäume - ein Stück blauen Himmels, und mir war so leicht zumute, als hätte ich mich in ein Summervögeli verwandelt. Wie ich nun erkennen konnte, ratterten wir auf einer Landstrasse in Richtung Norden, also heimwärts. Potz Heubohne! Was war denn das? Auf einmal gewahrten wir am Strassenrand eine andere Kutsche, welche dort angehalten hatte, und neben dieser Kutsche stand der leibhaftige Johann Wolfgang Goethe! In dem ganz, ganz kurzen Augenblick, als wir an ihm vorbeipreschten, wandte er uns sein verdutztes Gesicht zu. In allem glich er Goethe aufs Haar: nur dass er keinen Hut trug. Der neben mir sitzende Goethe - der mit dem Hut - wusste natürlich, was das zu bedeuten hatte, und auch ich konnte sehr wohl eins plus zu eins zusammenzählen.

 

Goethe: Ein klarer Fall, mein lieber Blunschi, damit wäre das Rätsel gelöst: damals auf der Hinreise haben wir aufgrund des Hutzaubers einen Blick in die Zukunft getan. Und jetzt soeben haben wir durch dasselbe Zeitfenster ebenden Moment erblickt, da wir damals in die Zukunft geblickt haben. Der Goethe in der Geisterkutsche, das bin ich selber gewesen, so, wie ich jetzt bin. Und der Goethe dort am Strassenrand, das war der Goethe am Anfang unserer Reise, also irgendwie derselbe und doch nicht derselbe Goethe, der jetzt neben Ihnen sitzt... Verstehen Sie, was ich meine? Zeitlich gesehen, hat die nächtliche Reise gar nicht stattgefunden. Kaum zu fassen. Wir haben uns gleichsam selber überholt... Aber umso besser. Tun wir einfach so, als wären wir gar nie fort gewesen, wahren wir Stillschweigen! Zu niemandem auch nur ein Wort über das, was geschehen ist. Sonst hält man uns noch für verrückt, verstehen Sie Blunschi? Ich habe einen Ruf zu verlieren.

 

Blunschi: Jäwoll, Herr Goethe, eh, Herr Göpf, ich werde meine Lippen fescht verschliessen und versiegeln.

 

Blunschi: Als Goethe den Linus Lumbus Laudarum wieder in die Tasche stecken wollte, ertasteten seine Finger das Büchsli mit der Steinbockhoden-Salbe. Er zog es heraus, schrob, schrubte oder schraubte das Deckeli auf und begann mit angewidertem Gesicht an der widerlichen Paste zu schmöcken.

 

Goethe: Wäh! Wie sagt man doch auf Schweizerdeutsch? - Grusig!

 

Blunschi: Entsorgen Sie es, Herr Göpf, aber schnell. Sonst verstinken Sie uns noch die ganze Kutsche. Mich deucht, es böckelt schon jetzt.

 

Blunschi: Diesen Ratschlag hätte ich gescheiter für mich behalten. Als Goethe das Büchsli zum Fenster hinauswarf, traf er damit just das hübsch gelöckelte Köpfli eines Burenmeitschis, welches am Strassenrand ein paar hübsch erblühte Blüemli pflückte. Wir mir schien, war es dasselbe Burenmeitschi, mit welchem Goethe auf der Hinreise so schön geäugelt hatte. Der unglückliche Treffer veranlasste uns augenblicks, in Deckung zu gehen, denn das Burenmeitschi geriet ziemlich in Rage. Es hängte uns alle Schlötterlig an. Was für Hurencheiben wir seien, und so weiter. Aber was soll ich dazu noch sagen? Eigentlich dürfte ich das alles gar nicht verzählen. Ich hab’s ja versprochen. Da jedoch - wie ich glaube - der inzwischen verstorbene Herr Geheimrat auf seinem Dichterwölklein über irdische Belange himmelhoch erhaben ist, bin ich von diesem Versprechen guten Gewissens abgerückt und habe weiter nichts dabei gefunden, diese wahrhaft wahre Geschichte für euch, ihr lieben Leute, zur Niederschrift zu bringen, auf dass ihr eure Wissbegierde befriedigen und dazu anen auch noch ein schönes Deutsch lesen könnt.

 

 

 

2012