Monolog eines Staatsangestellten

 

Schon wieder ein Herzinfarkt. Das hat man davon, wenn man als Privatwirtschaftsprivatié tätig ist. Von früh bis spät rennt man der Kundschaft hinterher, und am Ende des Monats stellt sich heraus, dass die Kundschaft kein Geld hat - oder es zumindest nicht hergibt. In der Kasse klafft ein Loch, und die Bilanz bricht ein. Die Kundschaft kann aber sehr wohl rechnen, auf den Kopf gefallen ist sie nicht, sie rechnet ab, wo’s um Preise geht, um Pünktlichkeit und Qualität, und wenn die Kundschaft damit anfängt, zum Konkurrenten überzulaufen, wird man nervös und verteilt Bonuspunkte und Geschenke. Denn man will sie ja behalten, die Kundschaft, und zwar um jeden Preis, die Kundschaft zu verlieren, mein Gott, das ist so ziemlich das Schlimmste, was man sich vorstellen kann! So verkrümmt man sich mehr und mehr und bekommt eine Arschfalte im Gesicht. Man wird zum Lakaien. So geht es zu in der Privatwirtschaft. Lakaien versuchen sich gegenseitig zu übervorteilen, sich gegenseitig die Augen auszuhacken, und liefern sich auch noch auf Gedeih und Verderb einer Kundschaft aus, mit der sie nicht das Geringste zu schaffen hätten, ginge es nicht ums Geschäft. Ja, das liebe Geld. Alles dreht sich nur um die rote, schwarze, braune oder grüne Zahl, die doppelt unterstrichene Summe, an der das Schicksal des Privatwirtschaftsprivatiés und Geschäftlimachers wie an einem seidenen Fädelchen hängt. Wer Handel treibt, ist nicht sein eigen, der verkauft sich selbst, die eigene Haut. Wer einen Staubsauger verkauft oder ein Holzbrikett, verkauft nicht den Staubsauger oder das Holzbrikett, sondern sich selbst. Das nennt sich dann freie Marktwirtschaft, und weil es so gut funktioniert, hält man dieses Unding allen Ernstes für gut. Lachhaft! Das Rädchen dient der Maschine, ohne sie zu hinterfragen. Logisch. Dadurch, dass sich das Rädchen dreht, empfindet es sich als sinnvoll. Es erfüllt seine Funktion in einer Art Betriebsblindheit. Das Ganze, von dem es ein Teil ist, braucht es nicht zu begreifen. Hauptsache, die Energie geht nicht aus, die Antriebskraft des Funktionierens. Für die Privatwirtschaftsprivatiés, die Geschäftlimacher, die Beschäftigten, die Geschäftigen, die Schaffigen, die Schaffensfreudigen und die Schuftenden ist die sogenannte freie Marktwirtschaft ein ewig undurchschaubares Spiel der Kräfte, dem man sich ausliefert, um sich am Leben zu erhalten. Ober besser gesagt: am Funktionieren. Im stillen gesteht sich jeder ein, dass es mit dem Funktionieren nicht getan ist. Da fehlt etwas. Aber was? Da stört etwas. Aber was? Eine Maschine, die sich selber am Laufen hält, ist irgendwie unheimlich. Ein intelligentes Monster. Monströs sind nicht die Banken, nicht die Devisenhändler und nicht die Bosse von Nestlé und Novartis: das sind nur die grössten Räder im Getriebe. Wenn etwas monströs ist, dann ist es die Maschine selbst, diese Höllenmaschine, in der die grossen und kleinen Räder sich ineinander verzahnen, Abhängigkeiten produzieren, Unzuträglichkeiten und Störanfälligkeiten, die sich heimlich summieren. Wo etwas funktioniert, das wussten schon die alten Chinesen, ist die Fehlleistung programmiert, der Fallout unausweichlich. Kein Yin ohne Yang. Zum Glück arbeite ich beim Staat. Hier ist man kein Rädchen, man ist eher in der Situation einer Schraube: wenn die sich drehen lässt, dann nur, um gelockert oder angezogen zu werden. Sie braucht nichts zu bewegen, einmal festgeschraubt, kann sie ihre Position unverändert beibehalten. Wir Staatsangestellten leben stressfrei, weil wir wissen, wo wir hingehören. Die Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarkts ist bei uns sehr gering. Und vor Langeweile stirbt man nicht. Den Beweis dafür erbringen wir tagtäglich. Der Staat erspart uns vieles. Er ist die grösste Sparanstalt, die es gibt. Er ist auch ein Wohltäter. Tun wir etwas, so sagen wir uns: schaden kann es jedenfalls nicht. Wir überwachen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Wir reglementieren den Briefverkehr, obwohl alle nur noch E-Mails schreiben. Wir sind die Hurenweibel in der Kirche. Wir stopfen die Socken der Barfüssigen. Wir hüten ein Rudel toter Hunde. Wir predigen den Gehörlosen und führen vor den Blinden eine Pantomime auf. Wir giessen die Blumen im Regen. Wir sehen zum rechten, wo alles schon recht ist. Der Job ist einfach, da regelt sich alles von selbst. Den Monatslohn bekommen wir ohne unser Dazutun, einfach weil es uns gibt, die Sparbüchse füllt sich diskret. Manchmal vergessen wir sogar, dass wir Verdiener sind, und das ist die beste Schlafgarantie. Wir haben unsern Frieden. Und wir vermehren ihn. Den Unfrieden schaffen wir durch meditatives Arbeiten systematisch aus der Welt. Doch was wäre, wenn der allerunwahrscheinlichste Fall einträte: wenn der Staat uns kündigen würde? Was würde dann mit uns geschehen? So schlimm wäre das nicht. Wir Staatsangestellten sind für den Rausschmiss bestens gewappnet. Was wir tun oder nicht tun, könnten wir in jedem Kloster fortsetzen. Fürs Klosterleben wären wir topqualifiziert.

 

2009